Dieses Jahr markiert das 50. Jubiläum der Ereignisse des Mai 1968. Deshalb laden wir Euch ein an unserem 6 wÜchigen Lesekreis ßber die Neue Linke teilzunehmen.
Zwischen unserer Gegenwart und 1968 liegen mittlerweile mehr Jahre, als zwischen der Russischen Revolution von 1917 und den Ereignissen von 1968. Eingeleitet von einer Neuen Linken, welche sich von der in den 1920er und 30er Jahre aufgekommenen Alten Linken abzugrenzen versuchte, gaben die monumentalen Ereignisse des Jahres 1968 den Ton fßr alles an, was wir bis heute kennen: von der Protestpolitik bis zur akademischen Linken. Wir verspßren die Dringlichkeit der Frage: : Welche Lehren kÜnnen wir aus der Neuen Linken ziehen, während eine neue Generation das Unterfangen auf sich nimmt, eine Linke fßr das 21. Jahrhundert aufzubauen?
Der Lesekreis findet zu den angegebenen Terminen um 17 Uhr im Raum K3 im Studierendenhaus am Campus Bockenheim statt.
â˘Â vorausgesetzte / + zusätzliche texte
Woche 1 â 27.02.2018: EinfĂźhrung in die Neue Linke: Neue Formen der Unzufriedenheit?
"It is with [the] problem of agency in mind that I have been studying the intellectuals. . . . [I]f we try to be realistic in our utopianism â not fruitless contradiction â a writer on the Left today must begin there. For that is what we are, that is where we stand."
â C. Wright Mills (1960)
âDie fortschreitende eindimensionale Gesellschaft verändert das Verhältnis zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen. Vor dem Hintergrund der phantastischen und wahnwitzigen Aspekte ihrer Rationalität wird der Bereich des Irrationalen zur Stätte des wirklich Rationalen â der Ideen, die Âťdie Kunst des Lebens befĂśrdernÂŤ kĂśnnen.â
â Herbert Marcuse (1964)
"Bis jetzt bleibt der Begriff Linke weiterhin unklar."
â Leszek Kolakowski (1968)
⢠C. Wright Mills, "Letter to the New Left" (1960)
⢠Herbert Marcuse, "Beschluss" aus Der eindimensionale Mensch (1964) [PDF S. 256-266]
⢠Leszek Kolakowski, "Der Sinn des Begriffes >Linke<" (1968) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 144-158]
Woche 2 â 06.03.2018: Theorie und Praxis - Marcuse und Adorno in der Neuen Linken: die 1930er und die '60er
âIm Sozialismus soll die Freiheit verwirklicht werden. Die Vorstellungen darĂźber pflegen umso weniger klar zu sein, als doch das gegenwärtige System selbst den Namen der Freiheit trägt und als liberales angesehen wird. ... Nicht nur seine [des kleinen Mannes] eigene Unfreiheit, sondern auch die der anderen wird ihm zum Verhängnis. Sein Interesse verweist ihn auf die marxistische Erhellung des Begriffes der Freiheit. ⌠Die sozialistische Gesellschaftsordnung wird von der Weltgeschichte nicht verhindert, sie ist historisch mĂśglich; verwirklicht wird sie aber nicht von einer der Geschichte immanenten Logik, sondern von den an der Theorie geschulten, zum Bessern entschlossenen Menschen, oder Ăźberhaupt nicht.â
â Max Horkheimer (1926-31)
âPraxis erscheint ... mit Notwendigkeit, als blinder Fleck, als Obsession mit dem Kritisierten...Der Zusatz des Wahnhaften dabei indessen warnt vor Ăberschreitungen, in denen es unaufhaltsam sich vergrĂśĂert.â
â Theodor Adorno (1969)
⢠Max Horkheimer, Auszßge aus Dämmerung (Notizen 1926-31)
⢠Herbert Marcuse, "Das Ende der Utopie," und "Das Problem der Gewalt" (Vorlesungen 1967)
⢠Marcuse, "Die Frage der Revolution" (Interview 1967)
⢠Esther Leslie, Introduction to the 1969 Adorno-Marcuse correspondence (1999)
⢠Theodor W. Adorno and Marcuse, Briefwechsel ßber die Neue Linke (1969) [Dokumente Nr. 300. 313, 322, 336, 338, 340, 349]
⢠Adorno, "Marginalien zu Theorie und Praxis" (1969)
+ Paul Berman, "The Passion of Joschka Fischer: from the radicalism of the '60s to the interventionism of the '90s" (2001)
+ Liza Featherstone, Doug Henwood, and Christian Parenti, "'Action Will Be Taken': Left Anti-Intellectualism and its Discontents" (2002)
+ Kritische Theoretiker und Studentenbewegung
Woche 3 â 13.03.2018: Krise der Linken: Ist Revolution durch Geschichte gerechtfertigt?
âDenn befinden wir uns nicht immer in der Ausnahme? Eine Ausnahme war das [Scheitern von 1848 in Frankreich und das] deutsche Scheitern von 1849, eine Ausnahme das Pariser Scheitern von 1871, eine Ausnahme das Scheitern der deutschen Sozialdemokraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts (in Erwartung ihres chauvinistischen Verrats von 1914), eine Ausnahme der Erfolg von 1917 ⌠Dies sind alles Ausnahmen gewesen, aber in Bezug auf was? Etwa in Bezug auf eine gewisse ganz abstrakte, aber doch bequeme und beruhigende Vorstellung eines âdialektischenâ, bereinigten, einfachen Schemas, das gerade in seiner Einfachheit gewissermaĂen die Erinnerung des Hegelschen Modells bewahrte oder einfach dessen Gangart wieder aufnahm â und zwar den Glauben an die lĂśsende âKraftâ des abstrakten Widerspruchs als solcher. Im vorliegenden Fall ging es um den âschĂśnenâ Widerspruch von KAPITAL und ARBEIT.â
â Louis Althusser (1962)
â˘Â Louis Althusser, "Widerspruch und Ăberdetermination" (1962) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 57-83; also in Althusser, For Marx (1965-66)]
â˘Â Carl Oglesby, "Introduction: The Idea of the New Left"(1969) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 1-20]
+ Althusser, "Marxismus und Humanismus"(1965) [in FĂźr Marx]
Woche 4 â 20.03.2018: "What is revolutionary leadership?"
"The historical crisis of mankind is reduced to the crisis of revolutionary leadership."
âLeon Trotsky (1938)
" 'Revisionism' is the view that every new development requires the abandonment in practice of basic aspects of previously held theory. Ultimately this drift from the dialectical materialist method leads to a drift from the working class itself. Marxism, on the contrary, develops through the continual integration ofnew elements, new realities, into its theoretical structure. . . . Particularly in the present period, when the working class seems to the empiricist to be under the complete and everlasting domination of reformist bureaucracies, this ideological pressure is the result of a terribly strong social pressure. The Trotskyist groups feel small and isolated at the very moment that significant leftist forces are clearly in motion throughout the world. These forces, however, are under the leadership of non-proletarian tendencies: 'left' social democrats, Stalinists of one or another variety, and 'revolutionary' bourgeois or petty-bourgeois groups in the colonial countries."
âRT of the SWP-USA (1962)
â˘Â Cliff Slaughter, "What is Revolutionary Leadership?"(1964)
+ Revolutionary Tendency of the SWP (USA), "In Defense of a Revolutionary Perspective" (1962)
+ Spartacist League, "Die UrsprĂźnge des Pabloismus"(1975)
+ Communist (Third) International, "The Organization of Communist Parties"(resolutions 1921)
empfohlene HintergrundlektĂźre:
- Richard Appignanesi and Oscar Zarate, Introducing Lenin and the Russian Revolution (1977)
- Tariq Ali and Phil Evans, Introducing Trotsky and Marxism (1980)
- Spartacist League, Lenin und die Avantgardepartei (Pamphlet, 1978)
Woche 5 â 27.03.2018: Re-Organisation der Linken?
â˘Â Rudi Dutschke, AndrĂŠ Gorz, from Strategy for Labor (1964) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 41-56]
⢠Stuart Hall, Raymond Williams and E. P. Thompson, from May Day Manifesto(1967) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 111-143]
â˘Â Fidel Castro, "The Universal Conscience" (1968) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 186-206] [addendum:]
â˘Â Ernesto "Che" Guevara, "Der Sozialismus und der Mensch auf Kuba" (1965)
Woche 6 â 03.04.2018: Neue "Avantgarden" fĂźr die Revolution? : Anti-Autoritarismus
⢠Rudi Dutschke, "On Anti-Authoritarianism"(1968) [in Oglesby, ed., New Left Reader, 243-253]
⢠Daniel and Gabriel Cohn-Bendit, "The Battle for the Streets â C'est Pour Toi Que Tu Fais La RĂŠvolution" [from Obsolete Communism: A Left-Wing Alternative (1968)] [in Oglesby, ed., New Left Reader, 254-266]
Die historischen Wurzeln der Linken und des Marxismus liegen in den bßrgerlichen Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts und deren Krise im 19. Jahrhundert. Mit diesem Lesekreis wollen wir versuchen, jenen geschichtlichen Hintergrund durch Lektßre der Texte von Marx und der radikalen bßrgerlichen Philosophie der Aufklärung, Rousseau, Kant, Hegel sowie Nietzsche, herauszuarbeiten.
Im 20. Jahrhundert bemĂźhten die Theoretiker der Frankfurter Schule, Marx und das politische Bewusstsein des Marxismus, kraft kritischer Reflexion, in seiner Relevanz lebendig zu erhalten. Durch Texte von Autoren wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Georg LukĂĄcs, Karl Korsch und Leszek KoĹakowski, soll versucht werden, das Problem des politischen Bewusstseins der Linken im 20. Jahrhundert, das bis heute prägend bleibt, in seinem historischen Kontext zu beleuchten.
Erste Sitzung: 18. Oktober
Alle Sitzungen finden Mittwochs von 18-21 Uhr im Raum 1.G 092 des PEG-Gebäudes am Campus Westend statt.
â˘Â vorausgesetzte Texte
+ zusätzliche Texte
Woche 1: Kapital in der Geschichte â 18.10.17
⢠epigraphs on modern history and freedom by Louis Menand (on Marx and Engels) and Karl Marx, on "becoming" (from the Grundrisse, 1857â58)
⢠Cutrone, âCapital in historyâ (2008) [voläufige Ăbersetzung auf deutsch]
â˘Â Cutrone, âThe Marxist hypothesisâ (2010)
+Â Capital in history timeline and chart of terms
+Â video of Communist University 2011 London presentation
+ Horkheimer, Der Kleine Mann und die Philosophie der Freiheit, aus Dämmerung (Dok. S.6)
Woche 2: Rousseau â 25.10.17
"Wer den Mut besitzt, einem Volke Einrichtungen zu geben, muĂ sich imstande fĂźhlen, gleichsam die menschliche Natur umzuwandeln, jedes Individuum, das fĂźr sich ein vollendetes und einzeln bestehendes Ganze ist, zu einem Teile eines grĂśĂeren Ganzen umzuschaffen, aus dem dieses Individuum gewissermaĂen erst Leben und Wesen erhält; die Beschaffenheit des Menschen zu seiner eigenen Kräftigung zu verändern und an die Stelle des leiblichen und unabhängigen Daseins, das wir alle von der Natur empfangen haben, ein nur teilweises und geistiges Dasein zu setzen. Kurz, er muĂ dem Menschen die ihm eigentĂźmlichen Kräfte nehmen, um ihn mit anderen auszustatten, die seiner Natur fremd sind und die er ohne den Beistand anderer nicht zu benutzen versteht".
â Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag (1762)
⢠Jean Jacques Rousseau, AuszĂźge aus Der Gesellschaftsvertrag (1762) (Erstes Buch: Kap. 5 â 9, Zweites Buch: Kap. 1 â 4)
⢠Rousseau, Abhandlung ßber den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1754)
+ Rainer Maria Rilke, âArchaischer Torso Apollosâ (1908)
+ Robert Pippin, âOn Critical Theoryâ (2004)
Woche 3: Kant und Constant â 01.11.17
⢠Immanuel Kant, âIdee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbĂźrgerlicher Absichtâ und âWas ist Aufklärung?â (1784)
⢠Benjamin Constant, âVon der Freiheit des Altertums, verglichen mit der Freiheit der Gegenwartâ (1819)
Woche 4: Das Leben in der Geschichte â 08.11.17
â˘Â Friedrich Nietzsche, âVom Nutzen und Nachteil der Historie fĂźr das Lebenâ (1874)
+Â Nietzsche on history chart of terms
Woche 5: Askese der Moderne â 15.11.17
+ Human, All Too Human: Nietzsche: Beyond Good and Evil (1999)
â˘Â Nietzsche, Auswahl aus On Truth and Lie in an Extra-Moral Sense (1873)
â˘Â Nietzsche Geneologie der Moral (1887)
Woche 6: Vorläufer der Frankfurter Schule - 22.11.17
â˘Â Wilhelm Reich, âIdeologie als materielle Gewaltâ aus "Massenpsychologie und Faschismus"1933/46)
â˘Â Siegfried Kracauer, âDas Ornament der Masseâ (1927)
+ Kracauer, âDie Photographieâ (1927)
Woche 7: Das Scheitern des Marxismus 29.11.17
â˘Â Max Horkheimer, AuszĂźge aus Dämmerung (1926â31)
â˘Â Adorno, âAusschweifungâ (1944â47) (GS4:297-300, Anhang in Minima Moralia)
Woche 8: Utopie und Kritik â 06.12.17
â˘Â Leszek Kolakowski, âDer Sinn des Begriffes âLinkeââ (1968)
⢠Karl Marx, Auszug aus den Anmerkungen zur Doktordissertation (1839â41) [MEW 40, S. 325 - 331]
â˘Â Marx, Brief von Marx an Arnold Ruge (September 1843)
Woche 9: Sozialismus â 13.12.17
â˘Â Marx, AuszĂźge aus Ăkonomisch-philosophische Manuskripte (1844): Die entfremdete Arbeit; Privateigentum und Kommunismus; BedĂźrfnis, Produktion und Arbeitsteilung (bis |XXI||, MEW 40:556 [exklusiv ||XXXIV|| Die Grundrente])
â˘Â Marx und Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1848)
â˘Â Marx, Ansprache der ZentralbehĂśrde an den Bund vom März (1850)
+Â Commodity form chart of terms
Woche 10: Die Revolution von 1848 -Â 20.12.17
â˘Â Engels, Einleitung zu Karl Marxâ âKlassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850âł (1895))
â˘Â Marx, AuszĂźge aus Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 (1850) [Teil I] â˘Â Marx, AuszĂźge aus Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1852) [Teil I und VII] â˘Â Marx, Brief an Joseph Weydemeyer (Brief vom 5. März 1852, MEW 28, S.503-509)
â˘Â Marx, Strikes und Arbeiterkoalitionen aus âDas Elend der Philosophieâ (1847, §5 im zweiten Kapitel)
--- Weihnachtspause
Woche 11: Bonapartismus â 10.01.18
â˘Â Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation (1864)
â˘Â Marx, AuszĂźge aus Der BĂźrgerkrieg in Frankreich [Teil III und IV] (1871, mit Engels Einleitung von 1891)
â˘Â Marx, Kritik des Gothaer Programms (1875)
â˘Â Marx, Einleitung zum Programm der franzĂśsischen Arbeiterpartei (1880) [Auf MEW 19, S.238 findet ihr die Einleitung und in den Anmerkungen (Nr.151) das Programm selbst, MEW 19, 570-71]
+ Karl Korsch, "The Marxism of the First International" (1924)
+ Korsch, Introduction to Marx, Critique of the Gotha Programme (1922)
Woche 12: Kritik der politischen Ăkonomie â 17.01.18
â˘Â Marx, AuszĂźge aus den Grundrissen(1857-1861)
â˘Â Marx, Kapital Bd. I, Kap. 1 Teil. 4 âDer Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnisâ (1867) [MEW Bd. 23, S.85-98]
+Â Commodity form chart of terms
Woche 13: Verdinglichung â 24.01.18
â˘Â Georg LukĂĄcs, âDas Phänomen der Verdinglichungâ (Teil I des Kapitels âDie Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats,â Geschichte und Klassenbewusstsein (1923)
+Â Commodity form chart of terms
Woche 14: Klassenbewusstsein â 31.01.18
â˘Â LukĂĄcs, Vorwort von 1922, âWas ist orthodoxer Marxismus?â (1919), âKlassenbewusstseinâ (1920) in Geschichte und Klassenbewusstsein (1923)
+ Marx, Vorwort zu ersten Auflage des Kapitals (1867) und Nachwort zur zweiten Auflage (1873) des Kapitals
Woche 15: Das Ende der Philosophie â 07.02.18
â˘Â Korsch, âMarxismus und Philosophieâ (1923) [in der verlinkten Ausgabe S.84-160] + Marx, Thesen Ăźber Feuerbach (1845)
--- Beginn der vorlesungsfreien Zeit
Woche 16: Neo-Marxismus â 14.02.18
â˘Â Martin Nicolaus, âThe unknown Marxâ (1968)
⢠Moishe Postone, âNecessity, labor, and timeâ (1978)
+ Postone, âHistory and helplessness: Mass mobilization and contemporary forms of anticapitalismâ (2006)
+ Postone, âTheorizing the contemporary world: Brenner, Arrighi, Harveyâ (2006)
+ Adorno, "Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft"  (1968)
Woche 17: Gender und Sexualität â 21.02.18
â˘Â Juliet Mitchell, âFrauen â die längste Revolutionâ (1966)
⢠Clara Zetkin âErinnerungen an Leninâ (1920)
⢠Theodor W. Adorno, âSexualtabu und Recht heuteâ (1963)
⢠John DâEmilio, âCapitalism and gay identityâ (1983)
Die Oktoberrevolution ist wahrscheinlich das umstrittenste Ereignis der Weltgeschichte. Innerhalb der Linken wie im politischen Mainstream einerseits verteufelt, andererseits glorifiziert, spaltet, verwirrt und transformiert das Jahr 1917 und seine Auswirkungen die politischen Ideologien des 19. Jahrhunderts: Liberalismus, Sozialismus und Anarchismus. Gleichzeitig diagnostizieren Denker und Politiker wie Lenin, Luxemburg und Trotzki eine tiefgreifende Krise des Marxismus, der sich bis dahin in der zweiten Internationale als kritische â treibende und notwendige â Kraft des Sozialismus verstanden hatte. Der scheinbare, vergiftete Sieg der Arbeiterklasse im Oktober 1917 ist das einzige Mal in der Geschichte der Menschheit, dass eine unterdrĂźckte Klasse die Macht in einem Staat erobert hat. Welche Bedeutung hat die Revolution heute?
Die Veranstaltungsreihe â1917-2017 - 100 Jahre Russische Revolutionâ will sich im Rahmen verschiedener Veranstaltungen mit dem 100. Jahrestag des russischen Revolutionsjahrs auseinandersetzen. Von Mai bis September 2017 sollen in diesem Rahmen ein Teach In, FilmvorfĂźhrungen, eine Podiumsdiskussion, sowie ein Lesekreis stattfinden. Uhrzeiten und Orte werden noch bekannt gegeben, soweit noch nicht vermerkt.
âDie Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der
Lebendenâ (Karl Marx)
Â
Am 24. April beginnt mit dem Sommersemester auch unser Lesekreis "Was ist revolutionärer Marxismus?". Der Lesekreis findet jeden Montag von 18 bis 21 Uhr am Campus Westend der Goethe-Universität statt. Der Raum ist im IG Farbengebäude IG 0.254. Die gesamte Leseliste werdet ihr bald online finden. Die Texte werden im voraus gelesen und dann in der Sitzung diskutiert. Neueinsteiger/innen sind herzlich Willkommen. Vorkenntnisse werden keine benÜtigt.
Der Marxismus nach dem Tod von Marx und Engels erfährt mit dem rasanten Wachstum der Arbeiterbewegung und der Entstehung der zweiten Internationale den Charakter einer politischen Massenbewegung, die sich in alle Teile der Welt verbreitet. Wir mĂśchten im ersten Teil des Seminars genauer betrachten, worin der berĂźhmt-berĂźchtigte Marxismus der Arbeiterbewegung bestanden hat und welche Krise ihn vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges erfasst hat und groĂe Teile der Arbeiterbewegung in diesen stĂźrzte. Der Kampf gegen diese âKrise des Marxismusâ hat mit der Oktoberrevolution und der deutschen Arbeiterrevolution von 1918-19 einen welthistorischen MaĂstab erreicht, der die Hoffnungen und Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts vorbereitete. Was war das Ziel der 1917 eingeleiteten internationalen Revolution und wie ist diese gescheitert? Welche politischen und ideologischen Konsequenzen hat dieses Scheitern und wie hängt es mit den verhängnisvollen Entwicklungen der 30er und 40er Jahre zusammen?
Um diese Fragen näher zu beleuchten, werden wir uns in der zweiten Hälfte des Semesters mit den Reflexionen dieser Entwicklungen beschäftigen, wie sie von zentralen Figuren der Frankfurter Schule entwickelt wurden. Mit Lukåcs, Benjamin, Horkheimer und Adorno werden wir die Spannung, Kontinuität und Differenz zu den Vertretern der klassischen Periode des Marxismus entwickeln und uns somit ein bedeutendes Instrumentarium zum Verständnis der gegenwärtigen Welt anzueignen suchen. Das problematische Verhältnis von Theorie und Praxis im Marxismus und seiner Entwicklung hat die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts entscheidend geprägt und hinterlässt ihre Narben bis in die Gegenwart. Mit der Erforschung dieses Verhältnisses mÜchten wir Aufschluss darßber erhalten, wie die Vergangenheit unsere eigene Imagination der Zukunft in Bann hält.
Literaturliste
- vorausgesetzte / + empfohlene Texte
Woche 1, 24. April, Revolutionary Leadership
- Luxemburg, âDie âJunius-BroschĂźreâ / Krise der Sozialdemokratieâ Teil I. (1917)
- J.P. Nettl, âThe German Social Democratic Party 1890-1914 as a Political Modelâ (1965)
- Cliff Slaughter, âWhat is revolutionary leadership?â (1960)
Woche 2, 03. Mai, â¨Reform oder Revolution:
- Rosa Luxemburg, "Sozialreform oder Revolution" (1899)
Woche 3, 8. Maiâ¨, Lenin und die Avantgarde
- Spartakist-BroschĂźre, âLenin und die Avantgardeparteiâ (1978)
Woche 4, 15. Mai, â¨Was tun?
- W.I. Lenin, "Was tun?" (1902)
+ Richard Appignanesi und Oscar Zarate / A&Z, "Introducing Lenin and the Russian Revolution / Lenin for Beginners" (1977)
Woche 5: 22. Maiâ¨Massenstreik und Sozialdemokratie
- Rosa Luxemburg, âMassenstreik, Partei und Gewerkschaftenâ (1906)
- Rosa Luxemburg, âBlanquismus und Sozialdemokratie" (1906)
Woche 6, 29. Maiâ¨, Permanente Revolution
- Leo Trotzki, "Ergebnisse und Perspektiven" (1906)
+ Tariq Ali and Phil Evans, "Introducing Trotsky and Marxism / Trotsky for Beginners" (1980)
5. Juni: Sitzung entfallen!
Woche 7, 12. Juni, â¨Staat und Revolution
- W.I. Lenin, "Staat und Revolution" (1917)
Woche 8, 19. Juniâ¨, Imperialismus
- W.I. Lenin â "Der Imperialismus als hĂśchstes Stadium des Kapitalismus" (1916)
Woche 9, 26. Juni, â¨Das Scheitern der Revolution
- Rosa Luxemburg, "Was will der Spartakusbund?" (1918)
- Rosa Luxemburg, "Unser Programm und die politische Situation" (1918)
+ Luxemburg, "Die Sozialisierung der Gesellschaft" (1918)
+ Luxemburg, "Die Ordnung herrscht in Berlin" (1919)
+ Sebastian Haffner, "Die deutsche Revolution 1918/19" (1968)
Woche 10, 3. Juli, â¨RĂźckzug nach der Revolution
- W.I. Lenin, "Der âLinke Radikalismusâ, die Kinderkrankheit im Kommunismus" (1920)
+ Lenin, "Notizen eines Publizisten" (1922/24)
Woche 11, 10. Juliâ¨, Dialektik der Verdinglichung
- LukĂĄcs, âDer Standpunkt des Proletariatsâ (= Teil III. des Kapitels âDie Verdinglichung und das BewuĂtsein des Proletariatsâ) In: Geschichte und Klassenbewusstsein (1923)
Woche 12, 17. Juliâ¨, Lehren des Oktobers
- Leo Trotzki, 1917 â "Die Lehren des Oktobers" (1924)
+Trotzki, "Bolschewismus und Stalinismus" (1937)
Woche 13, 24. Juliâ¨, Trotzkismus
- Leo Trotzki, "Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale" (Das Ăbergangsprogramm) (1938)
Woche 14, 31. Juliâ¨, Der Begriff der Geschichte
- epigraphs by Louis Menand (on Edmund Wilson) and Peter Preuss (on Nietzsche) "on the modern concept of history"
- Walter Benjamin, "Ăber den Begriff der Geschichte" (1940)
- Benjamin, "Paralipomena zu den Thesen Ăber den Begriff der Geschichte" (In: GS I) (1940)
+ Bertolt Brecht, "An die Nachgeborenen" (1939)
+ Benjamin, "Erfahrung und Armut" (1933)
+ Benjamin, "Theologisch-politisches Fragment" (1921/39?)
+ Benjamin, "Zum Planetarium" (aus: EinbahnstraĂe, 1928)
Woche 15, 7. August, Reflexionen auf den Marxismus
- Theodor Adorno, "Reflexionen zur Klassentheorie" (1942)
- Adorno, "Ausschweifung" (Anhang Minima Moralia) (1944â47)
+ Adorno, Adorno, "Zueignung", "Vor MiĂbrauch wird gewarnt" und "Zum Ende", aus Minima Moralia (1944-47)
+ Horkheimer und Adorno, Diskussion Ăźber Theorie und Praxis (1956)
Woche 16. 14. Augustâ¨, Theorie und Praxis:
- Adorno, âMarginalien zu Theorie und Praxisâ (1969)
- Adorno, âResignationâ (1969)
+ Adorno, "Zu Subjekt und Objekt" (1969)
+ Adorno, "Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?" (1968) [Audio] [Text]
+ Adorno und Marcuse, "Correspondence on the German New Left" (1969)
+ Esther Leslie, "Introduction to the 1969 Adorno-Marcuse correspondence" (1999)