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Die Jahreszahl, die mir zur Diskussion vorgeschlagen wurde (1933), ruft sofort zwei Namen in Erinnerung: Roosevelt und Hitler - Reformismus oder Barbarei. Ich will diese Namen jedoch mit einem anderen Paar und einer anderen Jahreszahl verbinden. Die Jahreszahl lautet 1940. Die Namen lauten Trotzki und Benjamin.

[English]  [ΕλληΜÎčÎșό]

Das Aussterben der Linken ĂŒberleben.

Es gibt eine ErzĂ€hlung ĂŒber Karl Marx’ Mitstreiter und Freund Friedrich Engels, der in seiner Jugend, als ein guter Hegelianischer Idealist ĂŒberzeugt von der sinnvollen, vernĂŒnftigen Evolution der Natur und der Rolle der menschlichen Vernunft in dieser, vom Schnabeltier (engl.: Platypus) las und ihn empört fĂŒr eine FĂ€lschung englischer PrĂ€paratoren hielt. FĂŒr Engels ergab das Schnabeltier keinerlei Sinn in der Naturgeschichte.

Als er einige Zeit spĂ€ter ein Schnabeltier in einem Englischen Tiergarten sah, war er verdrossen. Wie Marx war er ein guter Materialist und aufgeschlossen gegenĂŒber Darwins Evolutionstheorie, welche den Menschen der Naturgeschichte entthronte, und er erkannte, dass „Vernunft“ in Geschichte und Naturgeschichte nicht notwendigerweise mit der vorherrschenden AusprĂ€gung menschlicher Vernunft ĂŒbereinstimmen muss.

Diese Parabel fanden wir hilfreich, um den Zustand nachzuvollziehen, in dem sich die Linke heutzutage befindet. In Anbetracht der Geschichte der Gegenwart könnten wir fragen: Welches Recht auf Existenz hat die Linke?

Jedes Recht – genauso wie das Schnabeltier, so schwer dieses auch zu kategorisieren ist!

Wir behaupten, dass vergangene und gegenwĂ€rtige Geschichte nicht die Zukunft festlegen muss. Die vergangenen und gegenwĂ€rtigen Niederlagen und Verluste der Linken sollten uns belehren und warnen, nicht zurĂŒckhalten und fesseln.

Zu unserer Befreiung verkĂŒnden wir also: die Linke ist tot. – Oder genauer, wir sind alles, was von ihr ĂŒbrig geblieben ist.

Diese Aussage ist weniger faktisch zu verstehen, als absichtsvoll.

– Die Absicht, dass die Linke leben soll und die Einsicht, dass sie sich dafĂŒr ĂŒberwinden muss. Und wir sind diese Überwindung!

Was aber sind wir dann?

Wir sind linke Theoretiker, die aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts eine Lehre und zugleich eine Warnung ziehen wollen – aber nicht durch diese terrorisiert sind! „Lasst die Toten die Toten begraben.“ Unsere Handlungen können ihr Leiden noch erlösen.

Nach misslungenen und verratenen Versuchen der Emanzipation und im Lichte ihres falschen SelbstverstĂ€ndnisses sind wir gewillt, uns diese Geschichte, im Dienste der Möglichkeit des Kampfes fĂŒr Emanzipation in der Gegenwart – und in der Zukunft, wieder anzueignen.

FĂŒr einen solchen Zweck können wir (vielleicht provokativ) einige Namen auflisten, welche mit Gedanken, Problemen und Geschehnissen verbunden sind, die – (mit Benjamin gesprochen) Geschichte gegen den Strich gelesen – heute noch zu uns sprechen: Marx, Lenin, Luxemburg, Trotzki, Adorno. – Nicht viel mehr als das, was durch diese Persönlichkeiten reprĂ€sentiert wird, jedoch absolut nicht weniger.

Wir werden das einfache und falsche VerstĂ€ndnis dieser Namen ĂŒberwinden, all das ĂŒberkommene Wissen ĂŒber die Gedanken und Handlungen, die mit ihnen identifiziert werden, um ihr mögliches kritisches VerstĂ€ndnis zu erlangen und unsere Absicht zu entwickeln.

In der Geschichte der Linken sind es die Jahre 1848 und 1917, weniger 1968, nicht 1989: das Nachwirken verworrener Siege und Niederlagen; vor allem aber die Einsichten, die durch Niederlagen hervorgebracht wurden, und das VerstĂ€ndnis der Gegenwart und der Geschichte als einer, die nicht so sein musste, fĂŒr eine Zukunft, die nicht festgelegt ist.

Die unruhigen Geister von 1848 und 1917 werden, aufgrund der nicht verwirklichten Möglichkeiten, weiterhin einer unerlösten Zukunft zusprechen. Die Geschichte der Moderne ist noch nicht beendet, und sie kann nicht beendet werden, ohne ihre Versprechen eingelöst zu haben. Daher teilen wir nicht die (verlegene) Erschöpfung an der Moderne, sondern sehen ein gewisses Ausbleiben ihrer emanzipatorischen Umgestaltung, welche uns stets in ihrer Notwendigkeit verfolgt.

Wir sehen unsere Notwendigkeit.

Wir folgen dem jungen Marx in seiner „rĂŒcksichtslosen Kritik alles Bestehenden.“ Anders als Hegel in seinem Kampf gegen die romantische Verzweiflung nach 1789, sehen wir die Notwendigkeit unserer Gegenwart nur als „schlechte“. Unsere Gegenwart verdient keine Affirmation oder gar Respekt; wir sehen sie nur als das, was kam, nachdem die Linke zerstört wurde und sich selbst abschaffte.

Lasst uns so, mit der Geschichte von Engels und dem Schnabeltier, die unwahrscheinlichen aber nicht unmöglichen Aufgaben ansprechen – das Projekt der nĂ€chsten Linken.

Juni 2006

[English]  [ΕλληΜÎčÎșό]

Marx und 1848

Marx war nicht der BegrĂŒnder, sondern der geistvolle und kritische Mitgestalter der Linken im 19. Jahrhundert. Der Sozialismus und Kommunismus wurden nicht von Marx und Engels oder ihren Mitstreitern (und Gegnern) innerhalb der Linken erfunden, sondern sind vielmehr das Resultat der inneren WidersprĂŒche moderner Gesellschaft, vor allem sichtbar an der Französischen Revolution im Jahre 1789 und der Arbeiterbewegung, die sich wĂ€hrend der Industriellen Revolution im frĂŒhen 19. Jahrhundert heraus bildete. Marx’ große Einsicht bestand darin, die Linke selbst als Symptom des Kapitalismus zu begreifen, was so viel bedeutet, dass die Linke dem Kapitalismus nicht von “außen” entgegen tritt, sondern vielmehr immanent, von “innen” heraus. Dennoch unterstĂŒtzte Marx die sozialistische Arbeiterbewegung mit dem Ziel, ihre Entwicklung voran zu treiben und ihr Bewusstsein darĂŒber zu schĂ€rfen, wie sie ĂŒber sich selbst hinaus wies.

Die Ideen von Marx entstanden in der Auseinandersetzung und Kritik mit den emanzipatorischen Theorien seiner Zeit, die auf 1789 folgten: dem französischen Sozialismus, der deutschen idealistischen Philosophie und der englischen Politischen Ökonomie. Im Jahre 1848 -dem Erscheinungsjahr des “Manifests der kommunistischen Partei” und der revolutionĂ€ren Erhebung in Deutschland, Frankreich und anderen Teilen Europas (durch die globale ökonomische Rezession hervor gerufen) – wurde das politische Problem und die Frage nach Gleichheit und Demokratie komplizierter und vor allem grundlegender gestellt. Eine rousseauistische Kritik der modernen Zivilisation (beispielhaft in Proudhons “Eigentum ist Diebstahl”) griff in dieser neu entstandenen gesellschaftlichen Konfliktsituation viel zu kurz. Die radikal demokratischen KrĂ€fte des “dritten Standes” (stĂ€dtisches BĂŒrgertum und Arbeiter) stießen schnell auf ein Hindernis: Das Kapital wurde zunehmend in seiner Existenz bedroht, da die sozialdemokratische Bewegung eine höhere Stufe gesellschaftlicher Produktion anstrebte. Die Folgen der gescheiterten Revolution von 1848 bedeuteten den Beginn einer Politik der Massen und des modernen national-parlamentarischen und bonapartistischen Staates, in welchem wir heute noch leben.

Nach dieser Krise, die auf 1848 folgte, begann Marx, einen kritischen und dialektischen Begriff des Kapitalismus zu entwickeln. Das Kapital erkannte Marx als eine Form sozialer Befreiung, welche dazu tendiert, alle sozialen Beziehungen zu beherrschen – und gleichzeitig die Bedingungen einer allgemeinen Gesellschaftlichkeit schafft: der ökonomische Zwang zur Produktion von “Mehrwert”, der darauf basiert, Arbeit zeitlich messbar zu machen und in eine Ware zu verwandeln – als Ware “Arbeitskraft”. Das Kapital begriff Marx also als eine Form des Reichtums, dessen Quelle die lebendige Arbeit ist, die von nun an dem Kommando der Wertproduktion untersteht – weshalb Marx die Metapher gebraucht, im Kapitalismus herrsche die "tote” ĂŒber die “lebendige” Arbeit.

In den Jahren nach der russischen Revolution (1917), versuchte Georg LukĂĄcs angesichts der verĂ€nderten historischen Situation, diese Erkenntnis des widersprĂŒchlichen Charakters kapitalistischer Vergesellschaftung neu an zueignen. Es handelt sich bei diesem Widerspruch um einen, der alle Menschen in ihrem sozialen Dasein und ihrem Bewusstsein bestimmt, die innerhalb warenförmiger Beziehungen leben und arbeiten. Durch diese “Verdinglichung” -wie LukĂĄcs diesen Sachverhalt bezeichnet- vollzieht sich die Erkenntnis der Menschen in ideologischen Formen (der Linken mit eingeschlossen), die sowohl die gesellschaftlichen VerhĂ€ltnisse reproduzieren, sowie die Möglichkeit ihrer Aufhebung mit erzeugen.

FĂŒr Marx ist die kapitalistische Gesellschaftsform die Grundlage und Bedingung fĂŒr die Möglichkeit emanzipatorischer Praxis , die jedoch gleichzeitig in ihrer Verwirklichung gehemmt wird. Als gesellschaftliches Prinzip, weist das Kapital jedoch zwangslĂ€ufig ĂŒber sich selbst hinaus.

Lenin, Luxemburg und das Jahr 1917

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm die jĂŒngere Generation der radikalen Linken in der Sozialdemokratie den revolutionĂ€ren Charakter ihrer VorgĂ€nger (Kautsky, Plechanov) mit SelbstverstĂ€ndlichkeit hin, stieß jedoch auf Probleme in ihrer eigenen Bewegung, an deren Seite sie so enthusiastisch kĂ€mpften. Die TrĂ€ger des revolutionĂ€ren marxistischen FlĂŒgels fanden sich beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914  in einer extrem isolierten Position innerhalb der Linken wieder. Russland erwies sich als das “schwĂ€chste Glied” im globalen Kapitalismus, wodurch es zum Epizentrum des revolutionĂ€ren politischen Kampfes wurde. Das paradoxe Resultat dieser Ausgangslage war -in Lenins Worten- ein “deformierter Arbeiterstaat”, ein administrativer “Staatskapitalismus”, der sich auf dem Fahrwasser des sich nach dem Krieg “erholenden” globalen Kapitals entwickelte. Luxemburg und ihre Genossen in Deutschland unterstĂŒtzten zwar die Bolschewisten, blieben jedoch als Marxisten kritisch, da sie sich voll und ganz bewusst waren, dass die Oktoberrevolution von 1917 die Notwendigkeit einer globalen Revolution dringlicher denn je machte. Die russische Revolution warf zwar das Problem des revolutionĂ€ren sozialistischen Umbruchs auf historisch einzigartige Weise auf; gelöst konnte dieses Problem jedoch nur auf der internationalen Ebene sozialistischer Revolution. In ihren Anstrengungen, den marxistischen Prinzipien treu zu bleiben, verĂ€nderten Lenin, Luxemburg und ihre Mitstreiter zwar die marxistische Bewegung, jedoch in einer so unausgeglichenen Weise, dass dadurch -nach dem ultimativen Scheitern der antikapitalistischen Revolution zwischen 1917-1919- die Grundlage fĂŒr einen erheblichen Verfall der Linken geschaffen wurde – nicht zuletzt in ihrem SelbstverstĂ€ndnis.

Trotzki

Als Stalin den “Sozialismus in einem Lande” ausrief, hat er nicht explizit eine revolutionĂ€re marxistische Perspektive aufgegeben, sondern sich vielmehr den Bedingungen der russischen Lage um 1924 angepasst. Selbst die RevolutionĂ€re, die nicht so zynisch waren wie Stalin und die Bolschewisten, die er manipulierte und ermordete, haben die riskante Politik des internationalen Kommunismus nicht als die einzige Möglichkeit gutgeheißen, die bescheidenen Erfolge von 1917 aufrecht zu erhalten, geschweige denn, sie auszubauen. In dieser Abwesenheit verlangte die “Verteidigung der Revolution” noch höhere Opfer – eine Katastrophe fĂŒr die Menschheit.

Adorno

Der Zerfall des revolutionĂ€ren Marxismus bis in die 1930er hinein, wurde zu einem schwerwiegenden Problem fĂŒr kritisches Bewusstsein innerhalb der Linken. Die radikale Krise von Krieg und sozialer Revolution zwischen 1914 und 1919 schuf eine reaktionĂ€re Gegenbewegung. Der Faschismus und Nationalsozialismus brachten einen erneuten Weltkrieg, wodurch auch die Linke spĂ€testens im Jahre 1945 völlig zerstört wurde. Als Folge der Konterrevolution und Reaktion nach 1919, entwickelte sich der “autoritĂ€re Charakter” als eine Form von sozialer und politischer SubjektivitĂ€t, die sich ĂŒberall manifestierte – nicht nur in den schwarzen und braunen Reihen des Faschismus, sondern auch in der von der sowjetischen Komintern organisierten “Volksfront” und spĂ€ter in den nationalistischen Bewegungen der “Dritten Welt”. Der “autoritĂ€re Charakter” mit seiner narzisstischen KrĂ€nkung und seinem Sado-Masochismus, offenbarte eine reaktionĂ€re “Furcht vor der Freiheit”.

Der “Marxismus” der Ostblockstaaten wurde selbst zu einem Bestandteil der allgemeinen Ideologie spĂ€tkapitalistischer Gesellschaft, jedoch in einer widersprĂŒchlichen Weise, da dieser immer noch ĂŒber bĂŒrgerliche Ideologie hinaus wies und deren “Leerstelle” symbolisch besetzte und aufzeigte. In dieser Phase triumphierender Konterrevolution im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert, tauchte deshalb die Frage und das Problem gesellschaftskritischen Bewusstseins wieder auf. Die Wiederaneignung des kritischen Stachels marxistischer Theorie und Praxis hat sich in den 1960er Jahren als eine obskure Aufgabe herausgestellt; jedoch als eine, die die Linke in ihrer sozialen und politischen Verwirrung und in der Verschleierung des Projekts der Emanzipation verfolgte – einem Projekt, welches das profunde VermĂ€chtnis der besiegten und verlorenen Revolution ist.

1968 – 1989- und Heute

In den 60er Jahren hat die Linke in zunehmender Weise das Recht und die Möglichkeit der Revolution in den kapitalistischen “Zentren” bzw. Industrienationen in Zweifel gezogen. – Beispielhaft in Susan Sontags Ausspruch: “the white race is the cancer of human history.” – Es entwickelte sich eine passive Hoffnung und Erwartung, welche die allgemeine Befreiung von den sozialen Bewegungen der globalen “Subalternen” abhĂ€ngig machte. Dabei wurde jede kritische Untersuchung der tatsĂ€chlichen politischen Formen dieser Bewegungen unterlassen und vergessen. – Adorno merkte zu Beginn der Dekolonisierung kritisch an:

“Die Wilden sind nicht bessere Menschen” (1944)- Dieser Verzicht auf das Politische nahm unterschiedliche Formen der Selbstverleugnung an, beispielhaft in einer rassistischen Idealisierung “kultureller Unterschiede”, die dem Politischen jegliche Substanz nahm und in der OberflĂ€chlichkeit mĂŒndete.

Die revolutionĂ€re Linke nach 1945 war zwar bereits so gut wie zerfallen, ihr endgĂŒltiges Todesurteil ist jedoch in dem Moment eingetreten, als sich diese angesichts der studentisch geprĂ€gten “Neuen Linken” der Bedeutung und der Rolle des kritischen Bewusstseins entledigt hat. Die Entzauberung der linken Bewegung der 60er, warf einen großen Schatten auf die darauf folgenden Jahrzehnte, die in dem Zusammenbruch der Sowjetunion um 1989-1992 kulminierte – dem “Ende der Geschichte” und dem Ende aller “großen” Projekte und ErzĂ€hlungen von allgemeiner gesellschaftlicher Emanzipation. Die “Neue Linke” bekam die Welt, die sie verdiente; jeder Versuch, den damaligen pseudo-radikalen Antimarxismus der “Neuen Linken” zu erhalten, laufen darauf hinaus, ein Gespenst wieder beleben zu wollen.

Adornos berĂŒhmt-berĂŒchtigter Satz “Es gibt kein richtiges Leben im Falschen” (1944) wurde meist als ein existenzielles Problem missverstanden, anstatt als politisches. Das Problem der Praxis ist jedoch kein ethisches Problem.

Vielmehr steht bei der Frage von politischer Praxis das Anliegen im Mittelpunkt, Möglichkeiten der Emanzipation zu eröffnen.

Die Utopie einer befreiten Gesellschaft, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung fĂŒr die freie Entwicklung aller wĂ€re und in der das Prinzip “jeder nach seinen FĂ€higkeiten, jedem nach seinen BedĂŒrfnissen” (Marx) gelten wĂŒrde, hat die historische Linke in ihrer TĂ€tigkeit geleitet – diese Utopie ist gegenwĂ€rtig jedoch kaum noch wahrnehmbar.

So wie es denkbar ist, unterdrĂŒckt zu sein, ohne die GrĂŒnde und Ursachen dafĂŒr zu kennen  – worauf der Begriff der “Entfremdung” hin deutet -, ist es ebenso möglich, dass bisher nicht-verwirklichte Möglichkeiten bestehen bleiben, auch wenn von diesen kein allgemeines Bewusstsein existiert. Die Möglichkeit des kritischen Bewusstseins fĂŒr Emanzipation ĂŒberlebt daher ihren scheinbaren Niedergang;

sie fordert uns daher nach wie vor – auf welch unbewusste Weise auch immer.

Die Rolle des Bewusstseins ist von grundlegender Wichtigkeit fĂŒr jede mögliche gesellschaftliche Emanzipation.

(Juni/Juli 2006, aus dem Englischen)

[English]  [ΕλληΜÎčÎșό]

Platypus (englisch: Schnabeltier) ist ein Projekt der Selbstkritik und der “Selbstbildung” mit dem Ziel einer praktischen Re- und Neuorganisation einer marxistischen Linken. GegenwĂ€rtig erscheint die marxistische Linke als historisches Zerfallsprodukt.

Die gĂ€ngige Meinung betrachtet die vergangenen, gescheiterten Versuche von gesellschaftlicher Emanzipation nicht als historische Möglichkeiten, deren Verwirklichung noch aussteht, sondern bloß als Vergangenheit, als “tote” Geschichte – die historischen Momente gelten als blanker Utopismus, der von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Als kritische Erbin einer besiegten Tradition, vertritt Platypus die These, dass die gegenwĂ€rtige Orientierungslosigkeit der Linken dafĂŒr spricht, dass wir – angesichts des Scheiterns der “Neuen Linken” (1968), der Demontage des “Sozialstaates” und dem Kollaps der Sowjetunion in den 1980er Jahren – heute nicht besser wissen, wie die Aufgaben und Ziele sozialer Emanzipation aussehen könnten, als die “Utopisten” der Vergangenheit.

Unsere Aufgabe besteht darin, die Neuorganisation einer marxistischen Linken durch das Medium der gegenseitigen Kritik und Bildung anzustreben und zu ermöglichen. Platypus ist der Ansicht, dass die Fragmente der heutigen Linken einer Tradition entstammen, deren Niederlage zu einem großen Teil selbst verschuldet ist. Insofern ist die marxistische Linke “historisch” und in einer so ernsten und Besorgnis erregenden Auflösung begriffen, dass es zunehmend schwieriger geworden ist, einheitliche, programmatische und in sich kohĂ€rente sozialpolitische Forderungen zu stellen.

Angesichts der vergangenen und gegenwĂ€rtigen Katastrophen, stellt sich deshalb als erste unmittelbare Aufgabe einer potentiellen Neuorganisation, die Erkenntnis der Ursachen und GrĂŒnde des Scheiterns des Marxismus und die AufklĂ€rung ĂŒber die Notwendigkeit einer marxistischen Linken fĂŒr Gegenwart und Zukunft.

- Wenn die Linke die Welt verÀndern will, muss sie sich zuallererst selbst verÀndern !

Die unwahrscheinliche – aber nicht unmögliche – Neuorganisation einer emanzipatorischen Linken ist eine dringende Aufgabe; wir sind der Ansicht, dass die Zukunft der Menschheit hiervon abhĂ€ngt.

WĂ€hrend die verheerenden KrĂ€fte, die durch die moderne kapitalistische Gesellschaft hervor gerufen werden, weiterhin existieren und sich entwickeln, bleibt das soziale Versprechen gesellschaftlicher Emanzipation unerfĂŒllt.

Sich von dieser Aufgabe zurĂŒckziehen oder die Bedeutung vergangener Niederlagen und Fehler in Nebel zu hĂŒllen, indem Hoffnung auf “Widerstand” von einem gedachten “Außerhalb” der kapitalistischen Dynamik gesetzt wird, bedeutet nichts anderes, als die Affirmation eben jener Dynamik in der Gegenwart und die Befestigung ihrer zukĂŒnftigen zerstörerischen RealitĂ€t.

Platypus stellt deshalb folgende Fragen:

Inwiefern sind die Gedanken kritischer Gesellschaftstheoretiker wie zum Beispiel Marx, LukĂĄcs, Benjamin und Adorno relevant fĂŒr die heutige Auseinandersetzung um Emanzipation ?

Auf welche Weise können wir Sinn aus der langen Geschichte “verarmender” linker Politik ziehen – betrachtet von der internationalistischen marxistischen Linken von Lenin, Luxemburg und Trotzki bis zu der gegenwĂ€rtigen “Leere”- ohne von dieser Geschichte eingeschĂŒchtert oder entmutigt zu werden?

Inwiefern können die Antworten auf diese Fragen der Reorganisation einer Linken auf der fundamentalen Ebene von Theorie und Praxis förderlich sein ? Wie können wir dazu beitragen, die Sackgassen linker Politik zu ĂŒberwinden, in welche die Linke heute geraten ist ?

Wir hoffen, eine Debatte innerhalb der Linken wieder zu beleben, die seit langer Zeit entweder vergreist oder verstummt ist, um aufs Neue einer potentiell emanzipatorischen Praxis zum Leben zu verhelfen, die gegenwÀrtig abwesend ist.

Was ist die Linke gewesen und was kann sie noch werden ?

- Platypus existiert, weil die Antwort auf solch eine Frage -sogar in ihrer einfachen Formulierung- , schon lange nicht mehr als selbstverstÀndlich angesehen werden kann.

April, 2007

I. Was ist die “Linke?” — Was ist “Marxismus?”

Zum VerhÀltnis von Theorie und Praxis in der Geschichte des Marxismus


TU Darmstadt

Lesekreis Wintersemester 2013/14


Donnerstags 18:05–19:30 Uhr
Beginn: 31.10.
Kontakt: Nico (E-Mail-Kontakt: Nicolas.Schliessler[Àt]web.de)
Ort: S1/03/Raum 296 (der Raum befindet sich im Alten HauptgebÀude der TU Darmstadt in der Stadtmitte/Herrengarten)


‱ vorausgesetzte / + empfohlene Texte


Woche 1: Was ist die Linke? I. Das Kapital in der Geschichte

 

‱ Inschriften von James Miller (ĂŒber Jean-Jacques Rousseau), Louis Menand (ĂŒber Edmund Wilson) und Karl Marx (“Über das Werden”) ĂŒber moderne Geschichte und Freiheit
‱ Chris Cutrone, “Capital in history” (2008) [deutsche Übersetzung (Seite 19)] ‱ Cutrone, “The Marxist hypothesis” (2010)

+ Capital in history timeline and chart of terms


Woche 2: Was ist die Linke? II. BĂŒrgerliche Gesellschaft

 

‱ Immanuel Kant, “Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbĂŒrgerlicher Absicht” und “Was ist AufklĂ€rung?” (1784)
‱ Benjamin Constant, “The liberty of the ancients compared with that of the moderns” (1819)(Deutsch: Benjamin Constant. Über die Freiheit der Alten im Vergleich zu der der Heutigen (1819), in: Werke, herausgegeben von Alex Blaeschke, Lothar Gall, PropylĂ€en, Berlin, 1972, Bd. 4, S.363-396.) AUF DEUTSCH.

+ Jean-Jacques Rousseau,Abhandlung ĂŒber den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1754)
+ Rousseau, AuszĂŒge aus Der Gesellschaftsvertrag (1762) (Erstes Buch: Kap. 5 – 9, Zweites Buch: Kap. 1 – 4)


Woche 3: Was ist die Linke? III. Scheitern des Marxismus

 

‱ Max Horkheimer, AuszĂŒge aus DĂ€mmerung (1926–31)
‱ Adorno, “Ausschweifungen” (1944–47) (GS4:297-300, Anhang in Minima Moralia)


 Woche 4: Was ist die Linke? IV. Utopie und Kritik

 

‱ Leszek Kolakowski, “Der Sinn des Begriffes ‘Linke’” (1968)
‱ Karl Marx, Auszug aus den Anmerkungen zur Doktordissertation (1839–41) [MEW 40, S. 325 - 331] ‱ Marx, Brief von Marx an Arnold Ruge ( September 1843)


Woche 5: Was ist Marxismus? I. Sozialismus (erster Teil)

 

‱ Marx and Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei (1848)
‱ Marx, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund (1850)


Woche 6: Was ist Marxismus? I. Sozialismus (zweiter Teil)

 

‱ Marx, AuszĂŒge aus Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844): Die entfremdete Arbeit;Privateigentum und Kommunismus; BedĂŒrfnis, Produktion und Arbeitsteilung (bis |XXI||, MEW 40:556 [exclusiv ||XXXIV|| Die Grundrente]).


Woche 7: Was ist Marxismus? II. Revolution von 1848

 

‱ Engels, Einleitung zu Karl Marx’ “KlassenkĂ€mpfe in Frankreich 1848 bis 1850″ (1895)
‱ Marx, AuszĂŒge aus Die KlassenkĂ€mpfe in Frankreich 1848 bis 1850 (1850) [MEW Bd. 7: Teil I (S.11-34), S. 87-90, S.97-98] ‱ Marx, AuszĂŒge aus Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1852) [Teil I und VII]


Woche 8: Was ist Marxismus? III. Bonapartismus (erster Teil)

 

+ Karl Korsch, “The Marxism of the First International” (1924)
‱ Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation (1864)
‱ Marx, AuszĂŒge aus Der BĂŒrgerkrieg in Frankreich [Teil III und IV] (1871, mit Engels Einleitung von 1891)


Woche 9: Was ist Marxismus? III. Bonapartismus (zweiter Teil)

 

+ Korsch, Einleitung zu Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei (1922)
‱ Marx, Kritik des Gothaer Programms (1875)
‱ Marx, Einleitung zum Programm der französischen Arbeiterpartei (1880) [Über den Entwurf]


Woche 10: Was ist Marxismus? IV. Kritik der politischen Ökonomie

 

‱ Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie (1857–61) [MEW Bd. 13, S.615-641]

‱ Marx, Kapital Bd. I, Kap. 1 Teil. 4 “Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis” (1867) [MEW Bd. 23, S.85-98]


Woche 11:Was ist Marxismus? V. Verdinglichung

 

‱ Georg LukĂĄcs, “Das PhĂ€nomen der Verdinglichung” (Teil I des Kapitels “Die Verdinglichung und das Bewusstsein des Proletariats,” Geschichte und Klassenbewusstsein (1923)


Woche 12: Was ist Marxismus? VI. Klassenbewusstsein

 

‱ Lukács, Vorwort von 1922, “Was ist orthodoxer Marxismus?” (1919), “Klassenbewusstsein” (1920), Geschichte und Klassenbewusstsein (1923)
+ Marx, Vorwort zur ersten Auflage und Nachwort zur zweiten Auflage (1873) des Kapitals (1867)


Woche 13: Was ist Marxismus? VII. Ziel und Zweck der Philosophie

 

‱ Korsch, “Marxismus und Philosophie” (1923) [in der verlinkten Ausgabe S.84-160] + Karl Marx, Auszug aus den Anmerkungen zur Doktordissertation (1839–41) [MEW 40, S. 325 - 331] + Marx, Brief von Marx an Arnold Ruge ( September 1843)

+ Marx, Thesen ĂŒber Feuerbach (Fassung 1845)


Literatur fĂŒr die Semesterferien

‱ Spartakist-BroschĂŒre, “Lenin und die Avantgardepartei” (1978) [PDF]

‱ Sebastian Haffner, “Die deutsche Revolution 1918/19” (1968)