Die Umrisse des heutigen Nahen Ostens sind von einem Triptychon aus Völkermord und ethnischen SĂ€uberungen geprĂ€gt, das Mitte des 20. Jahrhunderts Gestalt annahm. Der erste Teil dieses Triptychons besteht aus dem âHolocaustâ (âSchoaâ auf HebrĂ€isch, âChurbnâ auf Jiddisch), der systematischen Ermordung von etwa zwei Dritteln der europĂ€ischen Juden durch die Nazis zwischen 1941 und 1945. Der zweite Teil besteht aus der ethnischen SĂ€uberung PalĂ€stinas durch die Zionisten zwischen 1947 und 1949, der âNakbaâ. Der dritte Teil schlieĂlich, der keine allgemeingebrĂ€uchliche Bezeichnung hat, besteht aus der Vertreibung hunderttausender mizrachischer Juden aus den arabischen LĂ€ndern. Diese verschlug es gröĂtenteils nach Israel, wo sie den zionistischen Staat auf entscheidende Weise stĂ€rkten, obwohl sie vielfach rassistischer Diskriminierung durch aschkenasische Juden ausgesetzt waren. Jede einzelne dieser Katastrophen war nicht nur das Ergebnis des Scheiterns der Linken, sondern ebnete auch den Weg fĂŒr weitere Niederlagen.
Was die Nazis den Juden antaten, war unsagbar: die Sprachen hatten kein Wort dafĂŒr, denn selbst Massenmord hĂ€tte gegenĂŒber dem Planvollen, Systematischen und Totalen noch geklungen wie aus der guten alten Zeit des Degerlocher Hauptlehrers. Und doch muĂte ein Ausdruck gefunden werden, wollte man nicht den Opfern, deren es ohnehin zu viele sind, als daĂ ihre Namen erinnert werden könnten, noch den Fluch des Nicht gedacht soll ihrer werden antun. So hat man im Englischen den Begriff genocide geprĂ€gt.
Es gibt zwei zu unterscheidende und als eine Funktion von Politik zu verstehende Konzeptionen des VerhÀltnisses zwischen Gesellschaft und Staat. Zum einen die liberal-progressive Perspektive, zum anderen die marxistische.
Aus liberal-progressiver Sicht ist der Staat eine positive Kraft, die von der demokratischen Gesellschaft genutzt werden kann, um in der Gesellschaft auftretende Probleme anzugehen. FĂŒr Marx hingegen entspringt der Staat aus der Gesellschaft, um einen Widerspruch in der Gesellschaft zu managen, den sie selbst nicht mehr zu bewĂ€ltigen imstande ist: Er bezeichnete diesen Widerspruch als Industrie.
Mario Candeias ist Politikwissenschaftler, seit 2012 Mitglied der Linkspartei und war von 2013 bis 2023 Direktor des Instituts fĂŒr Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin.Das Interview wurde von Platypus-Mitglied Benedikt Heudorfer am 18. September 2023 gefĂŒhrt. Es folgt eine gekĂŒrzte und editierte Version des GesprĂ€chs.
In der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion haben sich, beginnend mit der industriellen Revolution, zwei widersprĂŒchliche Tendenzen herausgebildet: einerseits die zunehmende Automatisierung, wodurch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verringert wird; andererseits die Verzweiflung der Menschen aufgrund ihres ĂberflĂŒssigwerdens als Arbeiter.