Sexuelle Befreiung und die Linke
Die Platypus Review #30 | März/April 2024
Von Stefan Hain
Der vorliegende Text und die Diskussion beruhen auf einem Teach-in, das am 24. Januar 2020 in Leipzig im Zuge der ersten deutschsprachigen Platypus-Konferenz gehalten wurde. Eine Audio-Aufnahme des Teach-Ins findet sich unter: https://www.youtube.com/watch?v=n4X4zN5OAHY. Stefan Hain ist Mitglied der Platypus Affiliated Society. Das editierte Transkript wurde von Julia Keller und Lisa MĂĽller erstellt.
Der Ursprung alles menschlichen Lebens ist die Sexualität und alle Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Aber als wissenschaftlicher und politischer Begriff ist Sexualität ebenso wie Sozialismus und Marxismus ein Produkt der Moderne. Das Teach-in will der Frage nachgehen, wie Marxistinnen und Marxisten seitdem das Verhältnis von sexueller Befreiung und sozialistischer Revolution beurteilten und charakterisieren.
Die Geschichte der Linken stellt uns vor Fragen: Gibt es überhaupt noch einen Kampf um sexuelle Befreiung? Was ist der politische Gehalt heutiger Diskussionen zum Thema Sexualität? Steht Sexualität noch in der Vorhut gesellschaftlicher Kämpfe, wie die Neue Linke es proklamierte?
Für die elfte Ausgabe der deutschsprachigen Platypus Review interviewte ich Volkmar Sigusch, der als einer der bekanntesten und einflussreichsten Sexualwissenschaftler im deutschsprachigen Raum gilt, aber auch weltweit von Bedeutung ist. Das Gespräch eröffnete ich mit der Frage: „Herr Sigusch, führt die Linke heute einen Kampf um sexuelle Befreiung?“, worauf seine Antwort recht kurz und knapp war: „Nicht, dass ich wüsste.“1
Volkmar Siguschs Buch Neosexualitäten hat mich vor vielen Jahren sehr für dieses Thema interessiert. Es beschäftigt sich damit, dass in der Nachzeit der Neuen Linken Sexualität nicht mehr als etwas Einheitliches betrachtet werden kann, sondern in viele verschiedene Bereiche zersplittert. Was ist eigentlich Sexualität, was ist sexuelle Befreiung, und was ist das Verhältnis der Linken zur sexuellen Befreiung?
In der Vorbereitung ist mir aufgefallen, dass das Teach-in sich in zwei Bereiche aufteilt: erstens freie Liebe und die Linke, und zweitens sexuelle Befreiung und Marxismus. Bevor ich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Begriffspaare genauer erläutere, will ich sie erst einmal von dem abgrenzen, wovon sich beide unterscheiden. Beide sind positiv formuliert. Sie beschäftigen sich mit Freiheit und deren Herstellung. Damit stehen sie dem übergroßen Teil heutiger linker Theorie und Praxis entgegen, die einen Kampf gegen sexuelle Unterdrückung beziehungsweise gegen Sexismus als Ziel linker Sexualpolitik formulieren. In diesem Sinne möchte ich stattdessen die Geschichte des Kampfes um und für Freiheit erzählen.
Was sind die Gemeinsamkeiten der Begriffe? Sie alle – die Linke, freie Liebe, sexuelle Befreiung, und Marxismus – sind Begriffe der Moderne. Sie sind Begriffe einer Epoche, die die traditionelle Gesellschaft überwunden hat. Sie entstammen einer Zeit, in der die Gesellschaft an den Idealen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgerichtet wurden, und nicht an tradierten religiösen Normen – also einer Zeit, in der weder Gott noch Natur die Gesetze des Zusammenlebens geben, sondern Menschen; genauer gesagt, die menschliche Gesellschaft, die mehr umfasst als die Summe ihrer Teile. Es geht also nicht rein um alle Individuen, sondern auch um menschliche Institutionen, die sich im Verlauf der Zeit herausgebildet haben.
Wo sind die Unterschiede in den Konzepten? Die Linke und freie Liebe sind Begriffe der bürgerlichen Revolution. Marxismus und Sexualität hingegen sind Begriffe – also Konzepte – der Krise dieser bürgerlichen Revolution und der von ihr hervorgebrachten Gesellschaft. Für Marx bedeutete Kapitalismus die bürgerliche Revolution, die bürgerliche Gesellschaft im Selbstwiderspruch. Die bürgerliche Gesellschaft war ein politisches Projekt, das durch die industrielle Revolution nicht mehr in der Lage war, ihre eigenen Ansprüche umzusetzen, ohne damit deren Gegenteil zu erzeugen.
Sexualität, die als letzter Begriff noch aussteht, ist als Begriff wissenschaftlicher Herkunft. Die Ursprünge der Sexualwissenschaft liegen in den 1850ern, 1860ern, und 1870ern. Pioniere waren beispielsweise Paolo Mantegazza in Italien und Karl Heinrich Ulrichs in Deutschland, der retrospektiv der erste Kämpfer für die Rechte homosexuell begehrender Männer war.
Die BĂĽrgerliche Revolution
Um zu verstehen, woher Marxismus und Sexualität kommen, müssen wir zuerst die bürgerlichen Konzepte der Liebe betrachten. Das Platypus-Mitglied David Faes begann seinen Artikel Transgender-Befreiung? Eine Bewegung deren Zeit abgelaufen ist2 mit der romantischen Liebe, die sich auch bereits vor der bürgerlichen Revolution findet, beispielsweise in der Kunst. Unter dieser romantischen Liebe versteht er den Dreiklang von Erotik, Sex, und Familie. Vor der bürgerlichen Revolution mag es immer wieder vorgekommen sein, dass einzelne Menschen dieses Glück erleben durften. Es war aber weder ein gesellschaftsordnendes Ideal noch dementsprechend gängige soziale Praxis.
Die bürgerliche Revolution aber löste alle alten traditionellen Bande auf und erlaubte neue, frei gewählte Verbindungen. Unter der französischen Nationalversammlung, also nach der Französischen Revolution, wurden die Strafen gegen Sodomie und Crossdressing aufgehoben und der Code Napoléon verbreitete diese Reformierung nach Deutschland. Mary Wollstonecraft – oft als Feministin bezeichnet, tatsächlich Vorkämpferin der Frauenbefreiung – verließ Großbritannien, um sich an der Französischen Revolution zu beteiligen. Sie formulierte politische Ideen, die von großem Einfluss waren für das, was später als Frauenbefreiung verstanden wurde, aber auch für freie Liebe.
Freie Liebe hieß dabei allerdings nicht, wie das heute häufig verstanden wird, multiple und/oder kurzzeitige Sexualbeziehungen, sondern dass freiwillige sexuelle Beziehungen nicht durch Gesetze zu regulieren seien, gleich ob religiöser oder staatlicher Natur. Freie Liebe war keine abgelöst im luftleeren Raum schwebende Forderung, sondern ist als wesentlicher Bestandteil von Freiheit selbst verstanden worden. Die Menschen begriffen sich als frei, und darum auch ihre Liebe und ihr Lieben. Dieses Konzept der freien Liebe wurde aufgegriffen und weitergeführt durch die utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts.
Unter diesen war der wohl berühmteste Vertreter der freien Liebe Charles Fourier. Er plädierte für die Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen, was die völlige Gleichstellung der Frau einbegriff, wollte Lohnarbeit von leidvoller Qual zu leidenschaftlicher Lust umformen und propagierte Lebenskommunen, die die bröckelnden sozialen Strukturen der Familie überwinden sollten. In diesem utopischen Sozialismus findet sich die Grundlage für David Faes’ Re- und Paraphrasierung dessen, was Juliet Mitchell in ihrem Aufsatz Women: The Longest Revolution in den 1960ern formulierte.
So wie die kapitalistischen Marktbeziehungen die historische Voraussetzung fĂĽr den Sozialismus waren, waren die bĂĽrgerlichen Ehebeziehungen auf Grundlage der romantischen Liebe die Voraussetzung fĂĽr sexuelle Emanzipation.
Was ist also eigentlich diese Sexualität von der wir sprechen? Meine Eltern haben immer gesagt: „Sexualität ist das Natürlichste der Welt.“ Wie vieles, was Eltern sagen, war das gut gemeint und hatte einen wahren Kern. Wenn man das Phänomen genauer betrachtet, ist es aber auch eine etwas fragwürdige Aussage. Sexualwissenschaft, die sich als naturwissenschaftlich begreift, proklamiert drei Dimensionen der Sexualität: Lust, Reproduktion und Beziehung. Streng genommen handelt es sich dabei allerdings nicht um Dimensionen, da die drei Bestandteile ineinander vermittelt, nicht unabhängig voneinander sind, und durch eine größere Vermittlungsinstanz verbunden sind: gesellschaftlich-historische Produktion. Das, was Marx „den Stoffwechsel der Gattung mit der Natur“ nannte.3
Um darauf vielleicht noch einmal einzugehen: Die Frage von Lust – man kann sie jetzt als etwas sehr Tierisches begreifen, wie das Erlangen von Lust, das Vermeiden von Unlust – aber für viele Menschen ist es immer noch so, dass sie vielleicht sagen würden: „Für mich ist körperliche Lust nicht unabhängig von der Beziehung, die ich mit einem Menschen habe.“ Viele Ehen werden immer noch geschlossen, und in unserem Gesetz wird die Ehe immer noch geschützt, weil sie die Familie schützt. Insofern sind Beziehungen und Reproduktion auch nicht unabhängig voneinander, und Reproduktion ist für viele Leute immer noch etwas, was für Lust entscheidend ist. Leute sind unglücklich, wenn sie Kinder haben wollen, und es nicht können; und ihre Beziehung wird dementsprechend auch davon betroffen. Das ist ein erster Hinweis darauf, dass an unserer Sexualität etwas Gesellschaftliches ist, dass die Formen unseres Zusammenlebens hineingehen bis in Fragen dessen, was eigentlich irgendwie naturwissenschaftlich behandelt wird.
Wenn ich also mich auf diese Frage einlasse: „Was ist natürlich an Sexualität und was ist gesellschaftlich?“, muss ich erst einmal sagen, was ich damit eigentlich meine. Unter Natur – traditionell verstanden, in dem Fall – meint man den Teil der Wirklichkeit, der nicht von Menschen hergestellt oder gestaltet wurde. Gesellschaft hingegen – keine erschöpfende Definition – ist die geschichtliche Produktion menschlicher Individualität und menschlichen Zusammenlebens.
Für die bürgerlichen Revolutionen hat das eine andere Bedeutung gehabt als noch für uns. Für Kant sind Natur und Gesellschaft – oder Natur und Freiheit – strikte Gegensätze. In der dritten kantischen Antinomie, die Hegel später als die Geburtsstunde der Dialektik bezeichnet hat, sieht Kant den Menschen als Bewohner zweier Welten: dem Reich der Natur und dem Reich der Freiheit, also der Gesellschaft. Kant als bürgerlich-revolutionärer Philosoph sah die beiden in einem Ausschlussverhältnis. Die bürgerliche Revolution will sich für die Freiheit entscheiden: Denken und Handeln stets so einrichten, als sei der Mensch wirklich frei. Kants Begründung dahinter ist: Wenn wir nicht frei sind, ist es sowieso egal, was wir machen. Dann sind wir von Naturgesetzen abhängig. Mein Handeln ist genauso vorbestimmt, wie wenn ich etwas auf den Boden werfe, das mit 9,81 Newton pro Kilogramm von der Erde angezogen wird, und nichts in der Welt etwas daran ändert.
Später wird die Frage noch ein bisschen anders gesehen. Freud wird von der Kritischen Theorie als der höchste Punkt des bürgerlichen Selbstverständnisses von Sexualität betrachtet. Für Freud ist Sexualität der Ausdruck des Eros, eines primordialen, vorgeschichtlichen Triebes, der die Naturbasis menschlicher Sexualität ist. Und Trieb ist dabei für Freud ein dynamischer, in einem Drang bestehender Prozess, der den Organismus auf ein Ziel hinstreben lässt. Für Freud sind menschliche Triebe polymorph pervers, das heißt vielgestaltig und abweichend. Ihre Natur ist, dass ihr Ziel im Vorhinein nicht festgelegt ist. Freud beschreibt also bereits eine widersprüchliche Natur der menschlichen Sexualität. Er steht nicht mehr in einer Zeit der freien Liebe, sondern in der Geschichte der Sexualität.
Der bereits angesprochene kritische Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, der bei Adorno und Horkheimer studierte, beantwortete die Frage: „Gibt es natürliche Sexualität?“ wie folgt:
Der Mensch ist von Natur gesellschaftlich, und seine Sexualität ist es auch. Das natürliche Moment am Sexuellen lässt sich vom Gesellschaftlichen prinzipiell nicht abscheiden, im Sinne von primär und sekundär, von vorausgegeben und gemacht, von richtig und falsch. [...] Weder unsere Sexualität allgemein, noch unsere Homo- und Heterosexualität, weder Geschlechtsidentität, Monogamie, noch Fremdenhass, sind menschheitsgeschichtlich stabil. Totalitär ist die Annahme, Movens und Causa lägen in der physischen Natur des Menschen. Ebenso totalitär ist die Annahme, alles sei gesellschaftlich konstruiert.4
Konstruiert ist hierbei nicht dasselbe wie produziert. Das Konstruierte ist etwas, was ich mir ausdenke, aus dem Geist in die Realität hole. Die Produktion ist hingegen das Zusammenspiel des menschlichen Handelns und der Naturbasis an der sie abgearbeitet wird, der schon beschriebene Stoffwechsel-Prozess des Menschen mit der Natur, den Marx anspricht.
Die Geschichte der Sexualität muss also die Geschichte des Kampfes um sexuelle Befreiung sein, und das ist die Geschichte der Linken – oder besser, sie war es. Wie stand der Marxismus also zum Phänomen der Sexualität, die als Begriff aus den 1850ern und folgenden Jahren stammt?
Entstehung des Marxismus
Karl Marx entstammt derselben Generation wie die Pioniere der Sexualwissenschaft. Das heißt, Marx ist 13 Jahre älter als der jüngste dieser frühen Pioniere der Sexualwissenschaft. Sie alle hatten zwar die Französische Revolution nicht miterlebt, sind aber unter den neuen Freiheiten des Code Napoléon aufgewachsen, welcher die neuen sexuellen Freiheiten der Französischen Revolution durch Europa getragen hatte. Es war das Scheitern der Revolution von 1848, der Verrat des Bürgertums an den Arbeitern, die ihr Recht auf soziale Teilhabe einforderten, was Marx zum Marxisten und zu einem politischen Denker sui generis machte.
Nach den Niederlagen der Revolution wurden in weiten Teilen Europas jene bürgerlichen Freiheiten wieder einkassiert. Die bürgerliche Kernfamilie schien monolithischer denn je; die Befreiung der Frauen zum Feigenblatt ihrer Ausbeutung in der Lohnarbeit; Sodomie und Crossdressing wurden spätestens mit der Gründung des Deutschen Reichs wieder kriminalisiert. Somit trat zum ersten Mal Sexualität als abgetrennte Sphäre der Gesellschaft auf. Menschen forderten nicht aufgrund ihres Status als freie Menschen ihre sexuelle Freiheit ein, sondern sie begriffen sich als unterdrückt in ihrer Sexualität. Sie waren als Freie aufgewachsen, die sodomieren und crossdressen durften. Nun sollten sie zu Unfreien werden, weil sie eben dies taten. Dies war der Anstoß für den Kampf, in der eigenen, bereits geformten Sexualität frei sein zu dürfen. Die Utopie der Freiheit wurde fragmentiert, zerfiel in unterschiedliche Themen, Kampffelder und Stränge. Der Kampf um die Utopie schien ihren Ausdruck nicht länger in der bürgerlichen Revolution zu finden.
Marx sah, dass die Gesellschaft in einen Selbstwiderspruch mit sich getreten war. Auf der einen Seite war es die Teilnahme an der Arbeit der Gesellschaft, die soziale Teilhabe ermöglichen sollte; Arbeit, die nach menschlicher Lebenszeit bemessen wurde. Menschliche Lebenszeit wurde so zum Hauptmaßstab des Wertes. Auf der anderen Seite hatte die Industrielle Revolution dafür gesorgt, dass immer weniger menschliche Arbeitszeit zur Erzeugung von Gütern benötigt wurde. Dieser maschinelle Zugewinn an Produktivkraft sorgte allerdings nicht dafür, dass die Menschen weniger arbeiten, sondern dass die Arbeiter miteinander um Jobs konkurrieren mussten.
Isaac Deutscher fasst Marx’ Kritik des Kapitalismus, der bürgerlichen Gesellschaft im Selbstwiderspruch, wie folgt zusammen:
There is one, only one, essential element in the Marxist critique of capitalism. […] It is this: There is a striking contradiction between the increasingly social character of the process of production and the antisocial character of capitalist property. Our mode of existence, the whole manner of production, is becoming more and more social in the sense that the old free-lance producers can no longer go on producing in independence from each other, from generation to generation, as they did in the precapitalist system.
Der nächste Punkt ist der, der für mich sehr entscheidend ist für dieses Thema:
Every element, every fraction, every little tiny organ of our society is dependent on all the rest. The whole process of production becomes one social process of production – and not only one national process of production but one international process of production. At the same time you have an antisocial kind of property, private property. This contradiction between the antisocial character of property and the social character of our production is the source of all anarchy and irrationality in capitalism.5
Alles wird produziert, nicht nur Gegenstände. Individualität, menschliche Beziehungen, Gesetze, Ästhetik, Lüste. Alles wird produziert im Kapitalismus. Niemand hat vor 100 Jahren ein Begehren nach Cybersex gehabt – produziert.
Marx begriff Kapitalismus als konkrete Totalität, als einen von Menschen angestoßenen Prozess, der alles zusammenhält und alles hervorbringt. Kapitalismus ist der Prozess, in dem die Menschheit ihr eigenes Wesen beständig neu hervorbringt und transformiert. Es ist dieser Widerspruch der Produktionsweise, der von Marx den wesentlichen Widerspruch und die zu lösende Aufgabe der menschlichen Zivilisation als Ganzes darstellte: der notwendige Schritt, besser, Sprung vom Reich der Naturnotwendigkeit ins Reich der menschlichen Freiheit. Marx sah in diesem Widerspruch das vermittelnde Moment aller anderen Konflikte, Widersprüche und Kämpfe der bürgerlichen Gesellschaft. Das Scheitern der Revolution von 1848 ließ Marx zu der politischen Strategie finden, die seitdem den Kern des Marxismus bildete. Marx erläutert diese in einen Brief an Joseph Wedemeyer aus dem Jahr 1852. Marx sagt:
Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen, und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt. Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.6
Der Widerspruch des Kapitalismus ist nicht ein Konflikt zwischen den sozialen Klassen und die Diktatur des Proletariats nicht erstrebenswert aus reinen Gerechtigkeitsgründen. Das Wesen des kapitalistischen Widerspruchs ist die sich selbst limitierende und unterminierende Produktion und Reproduktion der Gesellschaft. Die Diktatur des Proletariats ist für Marx und den Marxismus der nächste notwendige Schritt zur Vollendung der Ideale der bürgerlichen Gesellschaft – nicht nur der Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern auch und besonders der Freiheit.
Mit der Gründung der Zweiten Internationale – das heißt der Sozialistischen Internationale, deren stärkste Partei die SPD war, bei der Marx und Engels Mitglieder waren – begann der Kampf des Marxismus um die Befreiung der Potenziale des Kapitalismus. Dieser war immer noch Statthalter und Ausdruck bürgerlicher Freiheit, das Revolutionärste und Radikalste, was in der Geschichte jemals existierte.
Das historische Projekt des Marxismus war die Umsetzung der Ideen des utopischen Sozialismus auf der Basis der fortgeschrittensten Produktionsweise. Dementsprechend sahen es die marxistischen Organisationen als ihre Aufgabe an, alle sozialen Kämpfe miteinander zu verbinden und zu einem Punkt zuzuspitzen: zur sozialistischen Revolution, die die Diktatur des Proletariats errichten sollte, die, so der Marxismus, als einziges zur Befreiung der Menschheit, zum Ende der Natur und Vorgeschichte führen konnte. Dies allein, so die Überzeugung des Marxismus, konnte es doch noch ermöglichen, die Utopien der bürgerlichen Revolution zur konkreten Wirklichkeit werden zu lassen.
Trotz dieses Endziels war der Marxismus für alltägliche Kämpfe um Reformen nicht blind. Zum Beispiel forderte August Bebel, einer der berühmtesten Vertreter der SPD dieser Zeit, die Befreiung der Frau, ebenso die Rücknahme der Antisodomie- und Anticrossdressinggesetze. Die Marxisten forderten diese Reformen im Kampf gegen einen Staat, der sich über die Zivilgesellschaft und ihre Mitglieder erhoben hatte und Freiheit nicht mehr garantierte, wie es die bürgerliche Revolution intendiert hatte, sondern stattdessen einschränkte und bei Zuwiderhandlung mit schweren Strafen verfolgte. Die revolutionäre Überwindung dieses autoritären Staates war das Ziel der Marxisten: ein Zurück zu den ursprünglichen Ideen eines Staates, dessen Zweck es sein sollte, sich eines Tages überflüssig zu machen, weil freie Menschen ihn nicht mehr benötigten. Weder waren die Kämpfe für Reformen leere Phrase noch galt das Erringen einzelner Reformen als Etappensieg auf dem Weg zum Sozialismus.
Zumindest den Worten nach und zumindest bis zum sogenannten Revisionismusstreit zwischen Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein.
Die Krise des Marxismus
Im Ersten Weltkrieg zerbrach die Zweite Internationale am Verrat ihrer Führung, die die Massen der Arbeiter nationalistisch einpeitschte und auf die Schlachtbank der Geschichte führte. Lenin trieb einen Keil in die Bruchstellen, führte die Oktoberrevolution 1917 an und gründete die Dritte Internationale. Aus der Krise des Marxismus und der Spaltung der sozialistischen Zweiten Internationale gingen zwei Staatsführungen hervor: die SPD, die die Weimarer Republik ausrief, und die KPdSU, die die Sowjetunion begründete. In beiden Staaten, so unterschiedlich sie sonst auch waren, nahmen die Kämpfer für die sexuelle Befreiung ihre neuen Einflussmöglichkeiten als Pflichten auf und brachten die Reformen, für die die Zweite Internationale gekämpft hatte, als staatliche Gesetze auf den Weg.
In der Weimarer Republik hat Magnus Hirschfeld, einer der bedeutendsten Sexualwissenschaftler dieser Zeit, der der SPD nahestand, versucht, medizinische Reformen durchzusetzen, wie beispielsweise Homosexualität und Transsexualität als etwas Natürliches anzuerkennen und somit die Leute nicht mehr zu verfolgen. Man hat Sozialarbeiter eingeführt. In der Sowjetunion gingen die Reformen noch deutlich weiter. Es gab die Möglichkeit, dass Menschen im Transgeschlecht lebten, Zugang hatten zu Verhütungsmitteln, Geburtenkontrolle, Abtreibung, zu einer einfachen Scheidung und so weiter.
Allerdings waren beide Staaten immer noch Teil des kapitalistischen Systems. Die internationale Revolution war ausgeblieben. Das führte zu neuen Konflikten, ein Rollback und Kurswechsel, insbesondere in der Sowjetunion. Es mussten Konzessionen an kulturell konservative Elemente gemacht werden. Die meisten Menschen, die in der Sowjetunion zu der Zeit gelebt haben, waren Bauern, die kaum einmal fünf Kilometer von ihrem Geburtsort weggekommen sind, und die ersten Leute, die als Teil der größeren Gesellschaft integriert worden sind, waren die jungen und älteren Männer, die zum Militär eingezogen worden sind. Das heißt, die kulturellen Vorstellungen dieser Zeit waren eher konservativ und rückständig im Vergleich beispielsweise zum Berlin derselben Zeit. Außerdem hatte die Sowjetunion ein gewisses Bedürfnis für ein stabiles Bevölkerungswachstum, weshalb mit der Stalinisierung der Dritten Internationale und der Sowjetunion wieder mehr Wert darauf gelegt worden ist, dass es so etwas wie eine stabile Familie gibt und Leute aus ihren Geschlechterrollen nicht zu weit ausbrechen.
Die sexuelle Befreiung war ein Produkt des Kampfes der Linken. Der Rückschritt dieser sexuellen Befreiung – das Zurücknehmen der fortschrittlichen Reformen, wie wir sie verstehen – war auch ein Produkt dieses Kampfes, nämlich des Rückschritts dieses Kampfes. Die Linke hat nicht weiter um die internationale Revolution gekämpft, sondern musste sich mit dem Management einzelner Teile der Gesellschaft im nationalen Rahmen abfinden.
So ist das Thema Sexualität und sexuelle Befreiung dann auch aufgrund dieser anderen kleinen Kämpfe verschütt gegangen und nach dem Zweiten Weltkrieg sah die Situation eher finster aus. Homosexualität war in diesem Fall sowohl pervers, irgendwie etwas Anrüchiges, als auch eine Straftat. Die Ehe war so konservativ, wie sie vielleicht nie vorher war. In Deutschland brauchten Frauen die Erlaubnis ihrer Männer, um arbeiten zu gehen. Es gab keine Vergewaltigung in der Ehe. Und Ehen konnten schuldig geschieden werden – schuldig war meistens die Frau. Außerdem gab es einen Kuppeleiparagraphen, der dafür gesorgt hat, dass jede Person, die auch nur davon wissen konnte, dass in ihrem Haus Minderjährige oder Unverheiratete Sex hatten, eine Straftat begangen hat. Die Tabus über kindliche Sexualität, die Freud schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ein großes Problem für sexuelle Freiheit gehalten hatte, blieben weiter bestehen und in vielen Teilen sogar noch schwieriger zu besprechen als Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Neue Linke
Die Neue Linke der freien Welt fand sich also in tiefer sexueller Unfreiheit wieder. Da die Nabelschnur der Tradition der Linken zu diesem Moment bereits gerissen war, sieht sich die Neue Linke in einer scheinbar völlig neuen Situation. Die Neue Linke meint, dass ihre Vorgänger, d.h. die Zweite und Dritte Internationale, sich gar nicht mit Sexualität, diesem essenziellen Bestandteil des menschlichen Wesens, beschäftigt hätten und will die bedrängte und beschnittene Sexualität befreien. Damit verdinglichte und fetischisierte die Neue Linke die Sexualität. Sie hat sie zu etwas Festem und allem anderen Abtrennbaren gemacht und über etwas erhoben.
Adornos Mahnung, sexuelle Befreiung ist in einer unfreien Gesellschaft so wenig wie eine andere zu denken, ging an der Neuen Linken vorüber. Dass die sexuelle Revolution nicht gut ist, bis sie siegreich ist, war keine Sorge der Neuen Linken. Sie dachte, sie habe ihre Finger an einer Kraftquelle ungeahnten Ausmaßes, die ihre Vorgänger einfach übersehen hätten. Für sie war Sexualität der Sprengsatz, der die autoritäre Gesellschaft explodieren lassen sollte.
Zwar kannten sie Lenin, aber bis auf Juliet Mitchell schien keiner Lenin gelesen oder für voll genommen zu haben, als er sagte, so ungestüm und revolutionär sexuelle Freiheit auch sein möge, sei sie im Grunde ganz bürgerlich.7 Das heißt nicht, dass Lenin irgendein trockener Kaderführer ist, der keinen Bock auf Sex hat, sondern dass Lenin sagt: Die Frage von sexueller Freiheit ist eine, die mit der bürgerlichen Gesellschaft zusammenhängt. Wir haben sie geerbt von der bürgerlichen Gesellschaft. Sie ändert nichts an dem von Marx proklamierten Punkt, dass die politische Strategie einer Linken sein muss, in der Diktatur des Proletariats den Kapitalismus zu überwinden.
Es ist genau dieser Punkt, an dem die Neue Linke scheiterte. Es mangelte ihr an historischem Bewusstsein. Sie verstand die politischen Probleme vergangener Generationen nicht, sondern projizierte ihre eigenen zurück und kritisierte dann die Vorläufer. Die Neue Linke tat, als ob die Linke vor ihr das Thema Sexualität nicht gekannt habe. Politische Kritik wäre aber nur möglich gewesen durch eine immanente Kritik, durch ein Nachvollziehen und Einfühlen in eine historische Epoche, ohne dabei zu vergessen, was man nachträglich über sie gelernt hat.
Stark vereinfacht meine ich damit: Das Problem war nicht, dass die Zweite und Dritte Internationale sich nicht genug um Sexualität gekümmert hätten, sondern dass beide ab einem bestimmten Zeitpunkt aufhörten, die Partei des internationalen Proletariats zu sein. Dieser Verrat der politischen Führung war es, der dazu führte, dass die Internationalen sich nicht mehr um die existenziellen Forderungen und Bedürfnisse jener scherten, die sie angeblich vertraten. Die Internationalen degenerierten und regredierten vom politischen Vertreter der proletarischen Revolution zu deren Ersatz.
Die Neue Linke machte sich zum Komplizen dieser politischen Verbrechen, indem sie die Lügen glaubte, reproduzierte und zur Grundlage ihrer eigenen politischen Organisation machte. Das Scheitern der Zweiten und Dritten Internationale war für sie lediglich der Beweis, dass das Proletariat nicht das revolutionäre Subjekt sein konnte. Dementsprechend suchte sie in den sogenannten Randgruppen nun ihren eigenen Ersatz für das revolutionäre Subjekt: in Frauen, Farbigen, Homosexuellen und Jugendlichen. Heute kennen wir diese Gruppen als beliebte, oft stark sexuell aufgeladene Werbeträger für eigentlich alles, von der Durchfall-Medizin bis zum Sportwagen.
Die Befreiung der Sexualität entpuppte sich Jahrzehnte später als eine ähnlich kurzsichtige Idee wie die „Befreiung der Arbeit“, die im Gothaer Programm von der SPD gefordert wurde und zu der Marx lakonisch anmerkte: „Die Arbeit soll befreit werden? Begreife, wer kann.“8
Wie die Neue Linke Sexualität fetischisierte und als die große Metapher von Rausch und Revolution sah, so schlug in den folgenden Jahrzehnten die Betrachtung der Sexualität um. Die symbolische Aufladung wechselte das Vorzeichen; das Versprechen von Glück und Lust wandelte sich. Der sexuelle Diskurs der 1980er und 1990er war geprägt von der Idee, Sexualität sei dem Wesen nach Gewalt, Missbrauch und Zerstörung. Sie musste dementsprechend eingeschränkt, gezähmt und gezügelt werden – „Nobody expects the Spanish Inquisition.“ Der Kampf um sexuelle Befreiung verformte sich in einen gegen sexuelle Unterdrückung.
Dieser war, wie Adorno bereits in den Ursprüngen der Neuen Linken erkannte, nicht bloß gespeist aus vermutlich ohnmächtiger Solidarität mit den Opfern, sondern auch im Gedanken daran, was die mit der Integration der Sexualität steigende Verdrängung anzurichten vermag. Sie dürfte permanent das Reservoir autoritätsgebundener Charaktere speisen, die bereit sind, totalitäre Regierungen welcher Spielart auch immer nachzulaufen. Zusammengefasst, Adorno sagt: Die Sorge vor sexuellen Schandtaten, sexuellen Abweichungen und so weiter stellt sich dar als Sorge um die Opfer, mit denen praktische Solidarität eigentlich kaum möglich ist, weil es keine solidarische Organisation gibt, die alle umfasst, sondern wir alle Vereinzelte sind. Und die Sorge um diese furchtbaren Perversitäten haben immer etwas zu tun mit einem Strafbedürfnis von Menschen, die merken, dass sie an allen Ecken selber zu kurz kommen und verstümmelt sind.
Um dieselbe Zeit präzisierte Juliet Mitchell die Ansätze der Frauenbewegung der Neuen Linken, indem sie aufzeigte, dass diese sich in zwei Richtungen spaltete: den Reformismus und den Voluntarismus. Auch für die sexuelle Revolution der Neuen Linken scheint mir diese Einteilung sinnvoll.
Auf der einen Seite Reformismus: Der ist gekennzeichnet durch begrenzte Verbesserungsansprüche, dadurch, dass er keine fundamentale Kritik hat und wie sie es so schön sagt, den Status quo bloß möbliert. Auf der anderen Seite der Voluntarismus: Der Voluntarismus kennt nur Maximalforderungen und hat keinerlei Aussicht auf hinreichende Unterstützung in den breiten Massen der Bevölkerung. Für Juliet Mitchell ist dieser Voluntarismus der Maximalforderungen eine Ausstiegserklärung aus Geschichte und verantwortungsbewusstem Handeln: Leute, die sich beschweren wollen und nicht Leute, die etwas ändern wollen.
Heute trägt diese Aufteilung zwar immer noch; allerdings sind die beiden Strömungen an vielen Stellen bereits miteinander verschmolzen. Eine Sache, die mir dazu einfällt, sind die Pronomen. Auf der einen Seite stellt man die scheinbar radikale Forderung, dass alle Menschen alles, was sie in ihrem Leben über Geschlechter und Geschlechtseinteilung gelernt haben, vergessen mögen und jeder, der nicht jeden anderen fragt, was das gewünschte Pronomen ist, eigentlich schon ein Hate crime begeht. Auf der anderen Seite die Frage: Wenn wir das alle machen würden, wenn alle von uns nur noch alle Pronomen benutzen würden, die Menschen fordern, wäre unsere Gesellschaft weniger sexistisch? Gäbe es mehr sexuelle Freiheit? Oder wäre es nicht nur eine kleine Reform im Ganzen?
Die Frage, was Reform heute hieße, ist generell eine zweifelhafte. Die Sexualität ist integriert in einer ähnlichen Weise wie die Arbeiterklasse: schon immer noch ein bisschen dürftig, aber wirklich viel besser als vor 100 Jahren. Wer wollte das leugnen? Die Befreiung aber ist Schein. Das heißt, eine für das Wesen verkannte Erscheinung, eine momentane Äußerung, von der man glaubt, dass sie überhistorisch die Essenz der Sache sei.
Die Probleme heutiger Sexualität, sexueller Unfreiheit, in unserer Zeit und in „den westlichen Staaten“ sind an vielen Stellen – natürlich nicht an allen, aber an vielen Stellen – keine Probleme diskriminierender Gesetze mehr. In Deutschland sieht man das: Zum Beispiel all das, was in den 1960er Jahren kritisiert wurde, wenn es um die Verfolgung Homosexueller geht, oder um die unglaublich krass eingeschränkten Rechte von Frauen – gesetzlich sind die relativ weit behoben. Frauen werden nicht mehr schuldig geschieden, müssen nicht mehr ihren Mann fragen, ob sie arbeiten dürfen oder ein eigenes Konto haben. Homosexuelle sind weder Straftäter noch psychisch Kranke noch Sünder. Sie dürfen ebenfalls heiraten, bürgerlich freie Familien gründen und Steuern zahlen.
Es gibt natürlich auch noch politisch diskriminierende Gesetze. Trotzdem ist es ziemlich klar, dass die politische Frage eine andere ist als die, der die Neue Linke gegenübergestanden hat. Viele Probleme sind eher Probleme der Zivilgesellschaft. Die Diskussion um #MeToo scheint mir ein gutes Beispiel zu sein. Sexuelle Belästigung und Vergewaltigung sind schon lange Straftaten. Das ist offensichtlich nicht das Problem. Der Wunsch, dass staatlich mehr gegen Sexismus und Missbrauch unternommen werden sollte, ist ein Ruf nach genau dem, wogegen die Linke traditionell eigentlich kämpfte: staatliche Kontrolle über selbst intimste Teile des Privatlebens der Menschen.
Hier finden wir einen Widerspruch. Staatliche Institutionen sollen gegen beispielsweise toxische Männlichkeit und Hetero- oder Cisnormativität sein, sich aber auch völlig aus der Geschlechtsidentität der Individuen heraushalten. Dieser Widerspruch ist ein realer. Der Staat ist wirklich für beides verantwortlich. Generell scheint das neue Vorzeichen linker Sexualpolitik alles andere als Befreiung zu sein. Die Linke sieht nur Unterdrückung, und fordert gegen diese Sicherheit und Gerechtigkeit ein. Die Frage, was es bedeuten würde, heute gesellschaftlich sexuelle Freiheit zu fordern, scheint geradezu weltfremd zu sein. In bester Manier der Neuen Linken gilt zum Thema immer noch, wie Eldridge Cleaver sagte: „If you’re not part of the solution, you’re part of the problem.“
Was also bleibt übrig vom Kampf um sexuelle Befreiung? Vielleicht nur, der toten Neuen Linken und ihren zombiehaften Zeloten, die Sterbebeichte abzunehmen. Denn wer weiß schon, wie lange Sexualität überhaupt noch intellektuelle und politische Beachtung zukommen wird. Zuerst ging die Befreiung verloren. Nichts garantiert, dass wir die Sexualität behalten dürfen.
Diskussionsrunde
Ist romantische Liebe nur ein Phänomen der Moderne?
Die romantische Liebe der bürgerlichen Gesellschaft hat Einflüsse aus der Minnekultur des Mittelalters. Die Minnekultur an den Höfen hatte etwas mit Beziehung und Gefühl, aber nicht zwingend mit Familien, Zusammenschluss oder Sexualität zu tun. Das heißt, mit der bürgerlichen Romantik finden das erste Mal in der Geschichte die drei Bereiche – Erotik, Sexualität und Familie – in einer historisch neuen Art und ohne Vorbild zueinander, sodass es nicht nur in wenigen Teilen der Gesellschaft oder einigen Individuen zugestanden wurde, sondern das Recht aller Menschen sein sollte.
Was meinst du damit, dass das eine Verdinglichung beziehungsweise Fetischisierung ist, wenn die Neue Linke die sexuelle Freiheit fordert?
Verdinglichung bedeutet, dass ein Teil, ein Moment eines Ganzen, herausgenommen und als etwas Isoliertes betrachtet wird. Es ist nicht mehr ein Teil eines Ganzen, sondern ich sage: Das ist ein einzelnes abgetrenntes Ding, dem ich Attribute anhefte.
Die Neue Linke greift das revolutionäre Potenzial der Sexualität und die starke Unterdrückung der Sexualität heraus – was korrekte Momente des Ganzen sind, der Gesellschaft, die Freiheit nicht verwirklichen konnte – aber erklärt sie zum Kernproblem dessen, und erhebt sie so zum Fetisch. Sie sagt: Eigentlich ist es nicht die Spaltung in Lohnarbeiter und Kapital, die den ursprünglichen Widerspruch unserer Gesellschaft ausdrückt, sondern die sexuelle Unterdrückung. Dementsprechend ist es die sexuelle Unterdrückung, die wir überwinden müssen, die wir aufsprengen müssen, durch eine sexuelle Revolution, was uns irgendwann über Kapitalismus hinausführen wird. Sie begreifen diesen Prozess nicht als die ganze Freiheit, die ins Stocken gekommen ist. Das ist die Verdinglichung.
Und die Fetischisierung ist, dass man diesem Phänomen der Sexualität eine göttliche Macht überträgt, die sie eigentlich nicht hat. Und weil die Sexualität immer noch so unterdrückt ist – selbst beim healthy sex life, von dem man in den 1950ern schon dachte, dass es eigentlich eine ganz gute Sache sei – hat sie etwas Tabuisiertes, und wird deshalb für die Neue Linke zu diesem Moment der Sehnsucht.
Gibt es, oder gab es, einen eigenen Typus sozialistischer Forderung nach sexueller Befreiung, die anders war als die, die du die bürgerliche Form von sexueller Befreiung nanntest? Hat sich nicht die Neue Linke gerade gegen ein bürgerliches Verständnis von Sexualität gerichtet?
Der Marxismus hat Forderungen, die bereits von utopischen sozialistischen Linken vorformuliert waren, erneut aufgenommen und weitergeführt, um sie neu einzuordnen in den Kampf um die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats. Die Neue Linke hat den Marxismus nicht als Fortführung der bürgerlichen Revolution unter veränderten historischen Umständen verstanden. Die Neue Linke hat Kapitalismus als „sexistische Kackscheiße“ verstanden und insofern auch nicht verstanden, inwiefern der Marxismus sich als eine Kritik dieser Umstände betrachtete. Inwiefern Marxismus gesehen hat, dass es bürgerliche Gesellschaft und Kapitalismus waren, die Freiheit in die Menschheitsgeschichte getragen haben, und dass es darum gehen muss, diesen Widerspruch auszubuchstabieren, um die Verwirklichung der Freiheitsideale herzustellen. Damit war die Neue Linke gezielt antibürgerlich. Das Missverständnis war, dass das Marxismus sei.
Du stellst in Aussicht, dass mit der verlorenen Freiheit auch die Sexualität abhandenkommen kann. Wie sieht eine Gesellschaft ohne Sexualität aus?
John d’Emilio, der auch Teil der Neuen Linken war, beschreibt Homosexualität als ein Phänomen der Moderne. Vor dem Kapitalismus gab es keine Homosexuellen und auch keine Heterosexuellen. Das heißt nicht, dass es kein homoerotisches Begehren gab, das gab es schon immer. Aber die Idee, dass Homosexualität eine frei lebbare Identität sei, ist etwas ganz Neues, das mit der Idee der Individualität der bürgerlichen und kapitalistischen Zeit zusammenhängt.
Man sieht das daran, dass mittlerweile etwas aus Sexualität herausgelöst worden ist, was vorher relativ alleine stand, nämlich Geschlechtsidentität. Geschlechtsidentität war vorher Teil einer sexuellen Identität. Und jetzt ist es so, dass in Wissenschaft, in Gesetzen, in politischen Diskussionen, diese Geschlechtsidentität als etwas Unabhängiges verhandelt wird.
Umfragen zeigen, dass junge Menschen deutlich weniger Sex haben, und dass sie das auch nicht schlimm oder als Verlust empfinden. Das ist per se weder gut noch schlecht.
Aber Sexualität hat ja früher für etwas eingestanden. Dabei geht es nicht nur um körperliche Akte, sondern um die Frage von Glück und worin das Glück gesucht wird. In der Idee der sexuellen Freiheit war auch mit inbegriffen, dass das freie Beziehungen unter Menschen sind und frei gewählte Ideen von Glück. Das ist das, was durch irgendetwas ersetzt werden muss. Laut Adorno wird dieses Versprechen in der Tendenz zunehmend ersetzt durch Ersatz und Vorlust, gewisse Produkte, die man Leuten verkaufen kann.
Eben diese sexuelle Befreiung wird von Gesellschaft wieder einkassiert und man sagt nach und nach auch um der Sicherheit willen, das es das Beste wäre, wenn du etwas eher Normales machst und auch am besten nur mit einer Person und in einer festen Beziehung und auf jeden Fall nur mit Absprache; dass somit Sexualität sich wieder verändert hat, und dass auf der einen Seite eine starke staatliche Regulation stattfindet, und auf der anderen Seite eine Rückkehr ins Private. Womit ich glaube zu sagen, wenn ich sage, dass Sexualität verlorengehen kann, ist, dass das utopische Moment am Sexuellen – dieses Versprechen des Glücks, das von der Neuen Linken stark überstrapaziert worden ist – vielleicht einfach verschwinden wird und Sex sich einreiht neben Sport. Es gibt viele Leute, die Yoga wichtiger finden als Sex in ihrem Alltag.
Was ist denn das Utopische an der Sexualität? Inwiefern geht sie uns verloren oder ist sie auch noch aktiv heutzutage?
Ich glaube nicht, dass die Utopie der Sexualität verloren gehen kann. Ich glaube, sie ist verloren. Sie ist neben Yoga, Einkaufen und Netflix gucken normal. Es geht nicht darum, dass es nicht viele Leute gibt, die guten Sex haben. Aber die Utopie ist der Nicht-Ort, der Sehnsuchtsort, wo man hin will und nie hinkommen kann. Ich glaube nicht, dass die Utopie für immer verloren ist. Es geht mir darum, dass die Utopie der Sexualität, die Befreiung der Sexualität nicht in der Sexualitätliegt, sondern in der Idee der Freiheit. Dass wir etwas werden können, dass wir veränderbar sind, dass wir uns formen können, dass wir nicht irgendwo hingeworfen sind und so für immer bleiben müssen. Dass Sexismus und Vergewaltigung und Fremdenhass keine menschheitsgeschichtlichen Konstanten sind, sondern allgemein überwunden werden können. Das ist das Utopische.
Befreit sich nicht Sexualität heute auf neue Art und Weise? Anstatt uns abhanden zu kommen, erlebt doch die sexuelle Befreiung einen neuen Aufschwung, beispielsweise dadurch, dass zunehmend über weibliche Sexualität geredet wird.
Heute sagt man: „Sexuelle Befreiung ist, dass eine Frau einen Orgasmus hat.“ Es ist super, dass Frauen Orgasmen haben, so wie ich allen Leuten wünsche, dass sie ihren Körper kennen, körperliches Glück erfahren und so weiter. Der Punkt in der bürgerlichen Revolution war aber die Idee, dass Menschen frei sein können; und zwar nicht frei von sexistischen, heteronormativen Klischees, sondern frei, wie Gott frei ist. Sie forderte, dass Menschen ihre Sexualität nicht mehr wie Tiere von Naturgewalten diktieren lassen, dass sie nicht mehr das Gnadenbrot der Herrschaft bedürfen, um ihre Sexualität ausleben zu dürfen, dass ökonomische Motive keine Rolle mehr spielen bei der Partnerwahl und im Familienleben.
Ich finde, dass zu wenig sexuelle Aufklärung betrieben wird. Das sollte viel weiter getrieben werden. Und es ist eine Schande, wie wir mit Sexualität und Erotik in unserer Gesellschaft umgehen.
Aber was politisch mit sexueller Befreiung in der bürgerlichen, in der frühsozialistischen und in der marxistischen Politik gemeint war, war etwas unglaublich viel weiter reichendes, das eine utopische Dimension besaß. Nicht nur, dass wir von diesen ganzen ekelhaften Einschränkungen des Alltags doch bitte ein bisschen frei sein mögen.
Glaubst du, dass die Befreiung der Menschheit ohne Identitätspolitik funktionieren kann?
Ich glaube, sie kann nur ohne Identitätspolitik funktionieren.
Ohne, dass Frauen und Schwarze ihre Forderungen klarmachen? Den von Diskriminierung betroffenen Gruppen wird vorgeworfen, sie würden Identitätspolitik betreiben, aber Klasse ist doch auch eine Identitätspolitik.
[Weiterer Einwand aus dem Publikum:]Den Proletariern musste erst klargemacht werden, dass sie zusammengehören. Das Proletariat ist eine soziale Identität. Die Proletarier müssen sich erst als dieses Konstrukt begreifen, während man hingegen als Schwarzer oder als Frau geboren wird. Das ist ein entscheidender kategorialer Unterschied.
Der Punkt ist, dass der Kapitalismus die Arbeiter eben nicht zwingend als Klasse, sondern als Bürger zusammenschweißt. Die Arbeiterklasse braucht dieses subjektive Moment und diese Idee, dass sie gemeinsam die Freiheit erzeugen können, was sie zu einer Klasse macht. Natürlich bin ich gegen die Unterdrückung von Schwarzen, Frauen und sexuellen Minderheiten. Die Frage ist, ob die Freiheit dieser Leute darüber erlangt werden kann, dass Schwarze für ihre Freiheit als Schwarze und Frauen für ihre Freiheit als Frauen kämpfen. Oder ob man sagt: „Du bist Teil dieser internationalen Arbeiterklasse, die ständig reproduziert wird vom Kapital.“ Nur im Verständnis dessen können wir ein politisches Projekt formen, das über die Grenzen von Identität hinausgeht und die allgemeine Frage von zivilisatorischer Freiheit stellt, die nicht nur uns empirische Menschen betrifft, sondern die ganze Frage unserer Ideen, unseres Denkens, unserer Institutionen. Macht es überhaupt Sinn, die Menschen nach ihrer Hautfarbe oder ihren Chromosomen zu trennen oder dem, was sie zwischen den Beinen haben?
Selbstverständlich macht es keinen Sinn, trotzdem passiert es. Um Unterdrückung zu formulieren, muss man die Kategorie „Race“ oder „Geschlecht“ aufmachen, auch wenn man sie letzten Endes überwinden will.
Das haben die Marxisten zumindest historisch gegenteilig beantwortet.
Du hast meiner Auffassung nach Sexualität und sexualisierte Gewalt in einen Topf geworfen. #MeToo bittet den Staat nicht um die Regulierung der Sexualität, sondern der sexualisierten Gewalt. Sexuelle Belästigung ist erst seit ein paar Jahren strafbar. Kann nicht der Weg der zunehmenden Regulation, auf dem wir uns gerade befinden, zur Utopie hinführen?
Das ist genau der reformistische Punkt, anzunehmen, diese Reformen seien ein Schritt zur Utopie. Der marxistische Punkt ist: Nein. Herrschaft und Unterdrückung führen zu sexueller Ausbeutung und sexueller Unterdrückung und solange Herrschaft und Unterdrückung bestehen, kann Sexualität nicht ohne sie sein. Der Marxismus hält daran fest, dass die Befreiung der Sexualität aus der Befreiung der Menschheit hervorgeht. Es ist nicht das Säubern der Sexualität von ihren destruktiven Elementen, das uns zu einer sexuellen Freiheit führen wird, sondern die Verwirklichung von Freiheit, die unsere Sexualität wahr und frei machen wird.
Was ja zum Beispiel ein Ding ist, ist diese Frage nach Consent. In den USA gab es viele Formen von Vergewaltigung an Campi, weswegen Leute gesagt haben: „Ich habe gewissen Formen des sexuellen Verkehrs zugestimmt, aber gewissen anderen nicht. Und diese gewissen anderen, die dann vollzogen wurden, das war eine Vergewaltigung.“ Das halte ich für sehr nachvollziehbar und richtig, und ich verstehe, dass man diese Form sexueller Gewalt unterbinden will. Die Schwierigkeit ist aber, dass diese Consent-Gesetzte auch über alle Leute verhängt werden, bei denen in der sexuellen Beziehung keinerlei Form von Gewalt ist. Beispielsweise kann eine bekiffte Person nach neuen Gesetzen in den USA kein Consent geben. Wenn du mit einer bekifften Person schläfst, hast du dich an ihr vergangen. Aber dadurch, dass dieses Gesetz über alle verhängt wird und allgemein sein muss, fallen sexuelle Gewalt und Sexualität dann in eins, weil sie beide der staatlichen Regulation überantwortet werden.
Wo kein Kläger, da kein Richter. Es kann mir niemand erzählen, dass Leute, die ein Tütchen geraucht haben, auf einmal die Person, auf die sie gerade noch scharf waren, anzeigen. Das redet doch allen Leuten das Wort, die Victim Blaming betreiben.
Ich stimme Adorno zu, wenn er sagt, dass die BegrĂĽndung, dass ein Gesetz nicht ausgeĂĽbt wird, kein Argument fĂĽr dieses ist.
Wir haben viel darüber geredet, dass die Sexualität heute nicht befreit ist, und die gesellschaftlichen Strukturen, die behaupten, sie zu befreien, eher das Gegenteil tun. Die bürgerliche Gesellschaft gilt es zu transzendieren. Trotzdem muss man sich irgendwie dazu verhalten, dass sexualisierte Gewalt ständig passiert. Wenn jemandem Gewalt angetan wird, ist es doch richtig, dass er oder sie bürgerliches Recht einfordert. Ich stimme deiner Vision der Utopie zu, aber ich frage mich: Wie kommt man vom einen zum anderen?
Gerade auf der Linken bezeichnen Leute den Staat als absolute Drecksinstitution und finden es furchtbar, dass wir kontrolliert werden; aber gleichzeitig wünschen sich alle, dass wir eine „Schöne Neue-„1984“-Welt“10 haben, in der wir bitte alle menschlichen Regungen, die uns nicht passen, ausmerzen. Das kann man aber nicht. Der Staat kann durch Gesetze die Probleme, die zwischen Menschen bestehen und zu Gewalttaten führen, nicht sinnvoll regulieren. Vergewaltigung und sexuelle Belästigung waren schon vor #MeToo Straftaten. Leute meinten, diese Gesetze könnten nicht eingefordert werden oder gingen nicht weit genug. Deswegen müsse der Staat seine Regulation des Privatlebens der Menschen erweitern, um dieses Übel endlich auszumerzen. Aber das wird nicht funktionieren.
Wie wĂĽrde man in der Diktatur des Proletariats mit sexualisierter Gewalt umgehen?
Auch die Diktatur des Proletariats ist nicht der Deus ex Machina, der alles automatisch klären wird. Die Idee dahinter ist, dass die Probleme, die wir haben, Probleme der Freiheit von Menschen sind und dass Menschen diese Probleme nur dann lösen können, wenn die Freiheit nicht mehr von außen, von oben, vom Staat eingeschränkt wird. Beispielsweise sagt Lenin im Gespräch mit Clara Zetkin: In einer sozialistischen Gesellschaft wäre die Gemeinschaft so produktiv, so funktional, dass die Gesamtgesellschaft in der Privatheit unterbindet, wenn solche Übergriffe passieren. Leute müssten sich nicht mehr schämen oder Angst haben, wenn sie benennen, dass ihnen Gewalt angetan wurde, weil klar ist, dass die Gemeinschaft hinter ihnen steht. Weil die Leute nicht mehr miteinander um einen Job konkurrieren müssen, sondern alle mit allen Grundbedürfnissen versorgt sind, können die Übertretungen von Menschen als Übertretung erkannt und geahndet werden, weil Sicherheit und Freiheit sich nicht mehr gegenseitig ausschließen in einer Gesellschaft, in der sich alle als Teil desselben Ganzen erkennen, und das nicht nur als eine Phrase.
Kann die Utopie nicht erst entstehen, umso mehr wir UnterdrĂĽckungsformen, die ĂĽber das Proletariat hinausgehen, erkennen?
Das gemeinsame verbindende Moment der Arbeiterklasse ist nicht dass sie hetero-cis-weiß-männlich ist, sondern der Punkt ist, dass der Widerspruch der Lohnarbeit nicht die Arbeit überflüssig macht, sondern die Arbeiter.11 Kapital produziert auf der einen Seite die Möglichkeit der Freiheit, und auf der anderen Seite die konkreten Unfreiheiten. Deshalb war die marxistische Idee, diesen gemeinsamen Nenner zu adressieren, um überhaupt andere Dinge aufsteigen zu lassen.
Die Neue Linke hat eher konkurriert, wer schlimmer unterdrückt ist. Diese Tendenz findet man heute in der Intersektionalität wieder, wo aufaddiert wird, wie unterdrückt jemand ist. Für den historischen Marxismus hingegen bildeten Fragen der Unterdrückung Teilmomente des gesamtgesellschaftlichen Befreiungskampfes als menschheitsgeschichtliche Aufgabe. Ein Kapitalismus. One World – One Solution.
Es gibt keine Linke, die die Welt verändern kann. Deshalb ist es seltsam, konkrete Fragen politischer Strategie zu stellen. Ich will das Wort stark machen für die marxistische Perspektive, die uns im Moment real fehlt. |P
1 Stefan Hain: „Keine Freiheiten im kritischen Sinne. Ein Interview mit Volkmar Sigusch über die Dämmerung der kritischen Sexualwissenschaft“, Platypus Review, Nr. 11 (Winter 2019). Online abrufbar unter: https://platypus1917.org/2019/01/12/keine-freiheiten-im-kritischen-sinne-interview-volkmar-sigusch-kritische-sexualwissenschaft/.
2 David Faes: „Transgender-Befreiung? Eine Bewegung, deren Zeit abgelaufen ist“, Platypus Review, Nr. 11 (Winter 2019). Online abrufbar unter: https://platypus1917.org/2019/01/12/transgender-befreiung-eine-bewegung-deren-zeit-abgelaufen-ist/.
3 Karl Marx: „Das Kapital” (Bd. 1), in: Marx-Engels-Werke (Bd. 23), Berlin 1968, S. 192.
4 Volkmar Sigusch: Auf der Suche nach der sexuellen Freiheit. Frankfurt/M. 2011, S. 43–44.
5 Isaac Deutscher: Marxism in our Time. London 1974. Online abrufbar unter: https://www.marxists.org/archive/deutscher/1965/marxism.htm.
6 Karl Marx: „Brief an Joseph Weydemeyer“, in: Marx-Engels-Werke (Bd. 28), Berlin 1963, S. 507–508.
7 Clara Zetkin: „Erinnerungen an Lenin“, in: Lenin ruft die werktätigen Frauen. Artikel Lenins zur Frauenfrage, Berlin 1926, S. 19–38. Online abrufbar unter: https://library.fes.de/pdf-files/bibliothek/bestand/ako-46923.pdf.
8 Karl Marx: „Kritik des Gothaer Programm“, in: Marx-Engels-Werke (Bd. 19), Berlin 1962, S. 22.
9 © Alec Perkins from Hoboken, USA (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2018_New_York_City_Women's_March_(39787341232).jpg), „2018 New York City Women's March (39787341232)“, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode.
10 Bezug auf die Romane Schöne Neue Welt von Aldous Huxley (1932) und 1984 von George Orwell (1949).
11 Max Horkheimer: „Der autoritäre Staat“ in: Max Horkheimer. Gesammelte Schriften (Bd. 5), Frankfurt/M. 1987, S. 293–319.