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Der Niedergang der Linken im 20. Jahrhundert - Zu einer Theorie historischer Regression

Fragen und Antworten

Platypus Review 17 | November 2009

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Am 18. April 2009 organisierte die Platypus Affiliated Society die folgende Podiumsdiskussion im Rahmen der Left Forum Conference an der Pace University in New York City. Die Podiumsdiskussion befasste sich mit vier bedeutenden Momenten der zunehmenden Trennung von Theorie und Praxis im Laufe des 20. Jahrhunderts: 2001 (Spencer A. Leonard), 1968 (Atiya Khan), 1933 (Richard Rubin) und 1917 (Chris Cutrone). Der folgende Text ist ein editiertes Transkript der Einführung in die Podiumsdiskussion durch Benjamin Blumberg, der vorbereiteten Erklärungen der Podiumsteilnehmer und der anschließenden Fragerunde. Die Platypus Review empfiehlt interessierten Lesern, sich die vollständige Videoaufzeichnung der Veranstaltung anzusehen, die hier verfügbar ist.


Frage: Was beinhaltet „Emanzipation“? Auf welches „darüber hinaus“ verweist Kapitalismus? Und genauer: Was wäre die Rolle des Staates in diesem „darüber hinaus“ und wie wäre die Ökonomie darin organisiert? Es scheint mir, dass es wichtig ist, aus der Vergangenheit zu lernen, aber ohne eine Vision davon, wie es aussähe, über das Kapital hinauszukommen, sind wir in Schwierigkeiten.

Richard Rubin: In einem gewissen Sinne ist das eine Frage danach, wie eine sozialistische Ökonomie funktionieren könnte. Aber ich würde diese Frage aufschieben, weil die Hauptprobleme des Sozialismus im 20. Jahrhundert nicht ökonomisch, sondern politisch waren. Es ist eine vielfältige und komplizierte Geschichte, aber der Hauptkritikpunkt der Linken an der Sowjetunion war weder technisch noch ökonomisch. Vielmehr lag sein Fokus auf dem repressiven und diktatorischen Charakter des Regimes. Mit Blick auf den Staat glaube ich, dass Lenins Idee des Absterbens des Staates gültig bleibt. Worauf ich hinaus will, ist, dass die Gründe komplex sind, weshalb wir eine stalinistische Diktatur und keine wirklich demokratisch sozialistisches Gemeinwesen hatten. Aber ich würde argumentieren, dass sie im Grunde kontingente, historische Fragen und nicht dem Sozialismus per se inhärent sind. Wenn sie ihm inhärent sind, dann würden wir wirklich unsere Zeit verschwenden.

Chris Cutrone: Um Richards Ausführungen eine Sache hinzuzufügen: Wir wissen nicht und können noch nicht wissen, was die technischen Probleme wären, eine globale Ökonomie auf sozialistischer Basis zu organisieren. Wenn Lenin vom Absterben des Staates spricht, meint er natürlich das Absterben der Diktatur des Proletariats. Er meint damit nicht das Absterben eines Nationalstaates, der von Kapitalismus umgeben ist. Es gibt eine Art traditionelles marxistisches Verbot von Blaupausen und Bildern von der zukünftigen Gesellschaft. Der Grund dafür ist, dass Freiheit, um frei zu sein, nicht vorherbestimmt werden kann. Der Punkt des Marxismus ist, die Hindernisse des Kapitalismus beiseite zu schaffen, soweit wir sie bisher verstanden haben und wir haben sie nur zu dem Grad verstanden, wie wir dagegen gekämpft haben. Teil der Regressionsthese ist, dass der Kampf gegen Kapitalismus aufgehört hat und wir deshalb das Problem des Kapitalismus nicht mehr wirklich so gut verstehen wie zuvor. Als reales Problem können wir ihn nur im Prozess seiner Überwindung verstehen. Die Errichtung einer globalen Diktatur des Proletariats würde in diesem Sinne nur erlauben, das Problem des Kapitalismus anzugehen.

Ein anderer Weg, sich dem zu nähern, wäre zu fragen: Was bedeutet es, die Ökonomie zu politisieren? Am Ende war das doch die Frage, die der Obamaismus aufgeworfen hat, richtig? Was für eine politische Angelegenheit ist die Ökonomie? Marx‘ Punkt war, dass die Entstehung der modernen Arbeiterbewegung eine historisch neue und potenziell emanzipatorische Politik hervorbrachte: die Frage der Organisation der Wirtschaft auf demokratischer Basis. Die Frage wird gestellt. Sie wurde aber keineswegs durchgearbeitet und die sowjetische Erfahrung ist auch nicht besonders hilfreich im Nachdenken darüber, wie es funktionieren könnte. Alles worauf die sowjetische Erfahrung hindeutet, ist die Revolution. Es wäre schön, wenn die Organisation einer sozialistischen Ökonomie ein technisches Problem wäre. Uns fehlen die politischen Mittel, um es zu einem technischen Problem zu machen.

Was sind eurer Meinung nach die Formen von politischem Bewusstsein und von Praxis, die die Erkenntnis der Regression verstellen?

RR: Ich denke, dass Leute Angst haben, Regression anzuerkennen, weil es unbequem ist, darüber nachzudenken. Es ist viel einfacher in etwas zu verfallen, was man einen naiven Progressivismus nennen könnte – sich immer zu sagen, dass „der Kampf weitergeht“ – als die Niederlage der Linken im 20. Jahrhundert zu durchdenken, eine Niederlage die wirklich den Verlauf des Jahrhunderts und unserer Zeit bestimmte. Im Gegensatz dazu war das 19. Jahrhundert in einer Weise ein Jahrhundert großen historischen Fortschritts, die für uns heute nur schwer überhaupt vorzustellen ist.

Atiya Khan: Wir sollten uns mit der Art und Weise befassen, in der sich das politische Bewusstsein mit den objektiven Bedingungen arrangiert hat. Anstatt über die Grenzen der Gegenwart hinauszuwollen, tendiert die Linke dazu, sich mit den gegenwärtigen Umständen zu arrangieren. Um sich der Niederlage anzupassen, beschreibt die Linke sie fortwährend als Sieg. Natürlich sind die Möglichkeiten der Revolution vor dem Hintergrund des widersprüchlichen Charakters des Kapitals immer gegenwärtig. Das Problem ist, dass jene, die behaupten, Teil der Linken zu sein, sich der Verantwortung entziehen, diesen Widerspruch als Problem zu durchdenken.

Spencer Leonard: Ich habe einige dieser Punkte angedeutet, als ich die anhaltende Wiederholung der Politik der 1960er in der Gegenwart ansprach, die auf dem Grab der verwalteten Welt tanzt. Deshalb hat beispielsweise der moderne Anarchismus nichts, das wir eine theoretische Perspektive nennen würden. Im besten Fall ist er eine Spielart des Liberalismus, im schlechtesten Fall der Erbe der infantilsten Auswüchse der Linken der 1960er-Jahre. In jedem Fall scheitert der Anarchismus daran, das Problem des Kapitals  als etwas anderes als Ausbeutung und Unterdrückung zu fassen. Ich würde die Frage deshalb umdrehen und stattdessen fragen, ob es heute wirklich eine Politik gibt, die nicht dazu verdammt ist, die Niederlagen der Vergangenheit zu wiederholen.

Gilt eure Regressionsthese auf größerer, auf der globalen Ebene? Es hört sich so an, als ob das, was hier diskutiert wird, vor allem eine europäische Geschichte ist.

RR: Ich denke, dass das Problem auf weltweiter Ebene zu sehen ist. Wenn man beispielsweise auf die „Dritte Welt“ schaut – die Probleme mit antikolonialer Politik in der Mitte des Jahrhunderts beiseite gelassen (die zahlreich und auf keinen Fall unbedeutend waren) – gab es in der Dritten Welt in den 1950ern und 1960ern ein deutlich höheren Grad an politischem Bewusstsein als heute. Das ist ein klarer Ausdruck einer Art von Regression. Darüber hinaus ist es ein Fehler, die politischen Entwicklungen in der Dritten Welt von den politischen Entwicklungen in der Ersten Welt zu trennen, besonders da sie zunehmend verflochten sind und mehr und mehr aufeinander verweisen. Auf der einen Seite war es eine Art Abdankung eines großen Teils der Linken zugunsten einer Fetischisierung der Dritten Welt (Third-Worldism), hinter der als Antrieb der Pessimismus im Hinblick auf die Möglichkeit stand, die eigenen Gesellschaften im globalen Zentrum transformieren zu können. Das ist der Grund, warum die Linke damals ihre Hoffnung auf Gesellschaften richtete, die vermeintlich außerhalb des Kapitalismus standen. Außerdem war die Dritte-Welt-Politik der Neuen Linken – der beherrschende Ausdruck der Linken in den späten 1960er-Jahren – eine globale Politik. Es war weder eine Politik nur im globalen Zentrum noch nur in der globalen Peripherie, sondern eine gemeinsame Politik.

CC: Die Geschichte des Antiimperialismus oder eher der Entkolonisierung – da der Großteil der Entkolonisierung durch einen zutiefst verwalteten Prozess erfolgte, nicht durch gesellschaftlich-politische Kämpfe – war vor allem ein Desaster für die ehemals koloniale Welt. Wir können sagen, dass die Bedingungen in der postkolonialen Welt in vielerlei Hinsicht wesentlich schlechter und verrohter im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert sind. Der Umstand, dass die Neue Linke die Perspektive zur Revolution in der Dritten Welt sah, gründete zusätzlich, wie Richard angedeutet hat, in großen Teilen auf dem Pessimismus gegenüber der Revolution im Zentrum. Fanon sagte bekanntlich: „Verlassen wir dieses Europa“, was im Grunde ein Verzicht auf Politik ist. Wenn man also sagt, dass die Welt im Verlauf des 20. Jahrhunderts politisch stärker integriert und, in einem gewissen Sinne, inklusiver geworden ist, muss dies von einer Erzählung des Niedergangs und der Entleerung von Politik begleitet werden. Anders gesagt können Menschen nur in dem Maße zunehmend an demokratischer Politik teilnehmen, wie Politik bedeutungslos wurde.

SL: Es ist auf keinen Fall so, dass die koloniale Epoche unpolitisch ist und die postkoloniale Epoche oder die der Entkolonisierung folgende Epoche politisch. Im Gegenteil stellte die Entkolonisierung eine herbe Niederlage einer früheren und stärkeren Politik dar. In vielerlei Hinsicht ist es also eher dem Kollaps als der Radikalisierung jener Art von revolutionären Netzwerken und des internationalistischen Kosmopolitismus geschuldet, die die Weltreiche zugelassen haben (oder nicht niederschlagen konnten), dass es für uns fast unmöglich geworden ist, sich diese Vergangenheit in einer Weise überhaupt vorzustellen, die nicht in höchstem Maße einer Karikatur ähnelt.

RR: Der Teil der „nicht-westlichen“ Welt, den ich wahrscheinlich am besten kenne, ist der Nahe Osten, die arabische Welt. Dort ist der Aufstieg islamischer Politik zuallererst eine direkte Folge des Zusammenbruchs des arabischen Nationalismus, der in der Generation zuvor vorherrschend war. Dieser Zusammenbruch des arabischen Nationalismus selbst hat mit der Niederlage der arabischen Linken zu tun – einer überwiegend stalinistischen arabischen Linke, aber nichtsdestotrotz einer linken arabischen Politik. Der Grund für die Existenz einer rechten islamistischen Politik liegt also nicht in irgendeiner Form von atavistischem Impuls der Region. Vielmehr hat das mit der dröhnenden Niederlage der Linken zu tun. Es ist sowohl ironisch als auch tragisch, dass die Orte, an denen es die stärksten linken Traditionen der arabischen Welt gab, an erster Stelle der Irak und an zweiter Palästina waren. 

AK: Ich könnte daran mit Blick darauf, was dieser Tage in Pakistan passiert, anschließen: nämlich die Talibanisierung der gesamten Gesellschaft. Das ist eine Folge aus dem Scheitern der Linken, besonders aus den Niederlagen zwischen 1968–71, die im Bangladesch-Krieg gipfelten, der Pakistan in das spaltete, was heute die beiden Länder Pakistan und Bangladesch sind. Zu diesem Zeitpunkt bestand für Pakistan die Möglichkeit der Einführung einer liberalen Demokratie unter Sozialisten. In dieser Niederlage liegt der Grund dafür, dass Pakistan sich in die Richtung entwickelt hat, in die es sich entwickelt hat..

SL: Die letzte Sache, die ich hinzufügen möchte, ist, dass das, worüber wir sprechen, sozusagen die politische Geschichte der globalen Integration ist. Das Maß, in dem wir aktuell in einer global integrierten Welt leben, ist nicht die Folge von antiimperialistischer Politik an sich, sondern von revolutionärer Politik. Die Entkolonisierung, so wie sie stattgefunden hat, ist eine Form der Niederlage der internationalistischen radikalen Politik, auch wenn die Entkolonisierung im Allgemeinen nicht so verstanden wird.

Mich verwundert die Behauptung, dass die Dritte Welt im letzten halben Jahrhundert entpolitisiert worden sei. Ich frage mich, ob einer der Gründe, warum die Podiumsteilnehmer das behaupten, darin liegt, dass die Politik, die dort entstanden ist, für sie nicht als Politik zu erkennen ist. Ich konnte nicht anders, als die Themen dieses Vortrags – Defätismus und Regression – mit einigen anderen, deutlich hoffnungsvolleren Podiumsdiskussionen hier auf dem Left Forum zu vergleichen. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Podien, die sich mit den Entwicklungen in Südamerika befassen. Die Linke in Südamerika geht über unsere Vorstellungen davon hinaus, was es bedeutet, links zu sein, die in erster Linie in westeuropäischen Theorien über Industriegesellschaften wurzeln. Ich würde behaupten, dass die Probleme in Bolivien zum Beispiel über diese [traditionell linken] Anliegen hinausgehen.

RR: Ich denke, dass es, wenn man heute auf die Welt schaut, zumindest in einigen Aspekten wahr ist, dass Lateinamerika der am wenigsten regressive Teil und der Nahe Osten der regressivste Teil der Welt ist – in gewisser Hinsicht sind sie also Gegensätze. Aber ich denke, dass das grundlegende Problem an beiden Orten dasselbe ist. Offensichtlich ist Evo Morales in irgendeinem Sinne Teil der Linken. Auf jeden Fall ist er nicht auf der Rechten, wie es die Taliban sind. Aber Morales und Chavez (und ich bevorzuge Morales) vertreten in Wirklichkeit linken Nationalismus und das ist nichts Neues. Politik ist heute in Lateinamerika, wenn überhaupt, deutlich weniger radikal als in den 1980ern mit den Sandinisten und der FMLN, die wiederum weniger radikal als die kubanische Revolution waren. Man kann sich wirklich nur einreden, dass Lateinamerika das Leuchtfeuer revolutionärer Hoffnung ist, weil der Rest der Welt so trostlos aussieht.

Ich habe mich nicht auf eine Revolution bezogen. Ich spreche lediglich von Hoffnung im Allgemeinen, was Teil des Übersetzungsproblems hier sein könnte. Beispielsweise habt ihr Dinge wie die Kubanische Revolution und die Sandinisten erwähnt. Deren grundlegende Idee war die Übernahme der Staatsmacht, um, wie sie es nannten, revolutionäre Veränderungen herbeizuführen. Aber für mich geht es nicht so sehr um Evo Morales, sondern um die Menschen, die ihn gewählt haben, um die Bewegung. Manchmal erzittert Morales vor ihrer Macht. Sie diskutieren über Dinge wie die Transformation dessen, was es bedeutet, ein Bürger zu sein. Man könnte argumentieren, dass dies viel radikaler ist als alles, was Castro oder die Sandinisten je versucht haben. Natürlich ist es nicht revolutionär in dem Sinne, wie ihr Revolution definiert. Aber ich denke, das ist Teil des Problems, das ich anspreche – vielleicht ist die Idee der Revolution von den Menschen in Südamerika erweitert worden.

SL: Ich glaube, die Frage dreht sich in Wirklichkeit darum, ob eine emanzipatorische Politik möglich und wünschenswert ist. Aber ich würde auch argumentieren, dass es unglaubwürdig ist, von der heutigen Welt zu sprechen – in der weiterhin Armut, Erniedrigung, beschränkte Lebenschancen, unfreie Arbeit, verlängerte Arbeitszeit existiert, ganz zu schweigen von der extremen Verzweiflung der Landarbeiter in großen Bauerngesellschaften und in den Slums der Megastädte im globalen Süden – ich denke, das alles (was genauso für Südamerika wie Afrika und Asien gilt) die Verwirklichung einer neuen Politik zu nennen, ist wirklich ziemlich verächtlich gegenüber den Bestrebungen der Menschen dort. Ich würde behaupten, dass ihre Umstände nicht die Welt reflektieren, in der sie leben möchten. Vielmehr stellen diese Umstände eine schreckliche Niederlage ihrer zentralen politischen Bestrebungen dar. Im Anschluss an Richard würde ich auch argumentieren, dass auf der Ebene, auf der wir hier sprechen, kein grundlegender Unterschied zwischen einem Teil der Erde und einem anderen besteht. Zudem ist es nicht so, dass wir durch die Analyse der politischen und emanzipatorischen Potenziale, die in der Ersten Welt konzentriert sind, die Möglichkeiten in Lateinamerika oder im subsaharischen Afrika oder Asien ignorieren. Im Gegenteil gibt es kein Potenzial im Zentrum, das nicht inhärent international ist, weil wir in dieser Art von integrierter Welt leben. Und wie Chris und Richard schon erwähnt haben, war es für die Hinwendung der Neuen Linken zur sogenannten peripheren Welt notwendig, dass sie sie als „nicht-kapitalistisch“, was nicht-verdinglicht heißen soll, verkennen musste, die außerhalb der instrumentellen Vernunft und der grauen verwalteten Welt steht. Dieser Wille, die Dritte Welt und ihre Kämpfe zu romantisieren, war ein weiterer Ausdruck des Defätismus der Neuen Linken.

CC: In seinen Eingangsbemerkungen hat Spencer die „Verehrung vollendeter Tatsachen“ angesprochen. Die Linke hat gelernt, Niederlagen als Siege zu bezeichnen. Tatsächlich ist das seit langem ihre Praxis. Heutzutage gibt es eine ganze Industrie, die sich dem verschrieben hat. Ganze Druckereien sind dazu da, eine elendige Realität zu verschleiern. Etwas, das Richard gesagt hat, muss auch betont werden. Die Idee, dass der Kampf weiterginge, ist selbst eine Anpassung an die Niederlage. Menschen werden immer gegen Unterdrückung kämpfen, sie werden immer Widerstand leisten, aber die wirkliche Frage ist, ob sie etwas tun, das irgendeine Chance hat, die Umstände grundlegend zu verändern. Da angenommen wird, dass wir das nicht können, wird geschaut, wo Menschen kämpfen, wo sie ihre Würde gegen fürchterliche Umstände geltend machen, und behauptet: „Das geht über links und rechts hinaus.“

Ich glaube, den Maoismus leichtfertig abzutun, wird zum Hindernis, wenn man die erste Phase der sozialistischen Revolution zusammenfassen will. Es gibt heute eine große Debatte in der internationalen kommunistischen Bewegung, was die Natur der theoretischen Errungenschaften Maos war, darüber was Sozialismus ist und über die Widersprüche, mit denen es die Chinesen im Sozialismus zu tun haben. Die Große Proletarische Kulturrevolution war nicht eine große, demokratische Bewegung gegen das Problem der Bürokratie oder einer Parteidiktatur. Vielmehr ging es dabei darum, mit den tieferen, dem Sozialismus zugrunde liegenden Widersprüchen umzugehen. Darin gingen die chinesischen Kommunisten mit der Tatsache um, dass sie, während sie aus dem Kapitalismus herausgelangten, auf einer weltweiten Ebene noch nicht am Kommunismus angelangt waren und als Folge daraus die Bourgeoisie sich ständig neu regenerierte. Ich denke, ich wollte, dass darauf eingegangen wird, weil wir eben wissenschaftlich auf die Erfahrung der Chinesischen Revolution blicken müssen. Das ist der einzige Weg, auf dem wir vorankommen. Sie war in Wirklichkeit zutiefst befreiend, obwohl es sehr reale, zweitrangige Schwachpunkte gab. Man sollte darauf eingehen, meine ich, weil ich in Wirklichkeit glaube, dass es einen Marxismus gibt, der sich das schon angeschaut hat und weitergegangen ist.

RR: Ich glaube, der Maoismus stellt auf zwei Weisen ein Problem dar. Der eine ist der reale Maoismus in China und das Erste, was es über den Maoismus zu sagen gibt, ist, dass er eine Variante des Stalinismus ist. Punkt. In der Tat kritisierte Mao die Entstalinisierung in der Sowjetunion. Ich will aber, dies beiseite lassend, das wirkliche Problem des Maoismus betonen, welches nicht der reale Stalinismus in China, das diktatorisch-bürokratische Regime ist, sondern eher der Effekt, den der Maoismus auf die westliche Linke in den 1960ern und 1970ern hatte. In jenen Jahren war es dessen Funktion, eine Möglichkeit zu bieten, sich der trotzkistischen Kritik des Stalinismus zu entziehen. Nun hatten die verschiedenen trotzkistischen Gruppen alle ihre eigenen Probleme, manche schwerwiegendere als andere. Aber was ich hier betonen will, ist, dass es einfach keine theoretischen Errungenschaften bei Mao gibt. Tatsächlich hat vieles im Postmodernismus seine Wurzeln im Maoismus.


AK: Ich kann über den Fall von Pakistan im Jahr 1968 und die Rolle sprechen, die Maos Regime zu diesem Zeitpunkt in der Unterdrückung und Niederschlagung der Linken in Pakistan gespielt hat, indem es die pakistanische Armee zur Niederschlagung der Arbeiterbewegung bewaffnete.

CC: Atiya weist auf die Unterstützung des pakistanischen Staates durch China zur Isolierung und Beseitigung der pakistanischen Linken hin. In mancherlei Hinsicht war dies eine Wiederholung der Geschichte des Stalinismus in den 1930ern. Anstatt aber den Stalinismus oder den Maoismus zu verteufeln, ist unser Punkt zu sagen: Schaut, was das wirklich war und wie es dazu kam, sich auf das Anpassen an die Niederlage zu spezialisieren. Anders gesagt, die Niederlage der Revolution, die 1917 begann, führte direkt zur Stalinisierung der Sowjetunion und der internationalen kommunistischen Bewegung, ganz zu schweigen von der Niederlage 1927 in China und so weiter. Es gibt eine Reihe von Niederlagen, von denen man sprechen kann und die man über die Geschichte der weltweit vorherrschenden Formen des Kommunismus zurückverfolgen kann. Nun diente der Trotzkismus als Gegenstimme und Erinnerung an 1917, aber ist an sich offensichtlich nicht geeignet, um heute das Projekt einer emanzipatorischen Politik voranzubringen. Er hat längst aufgehört, eine echte Alternative darzustellen. Was die Kulturrevolution betrifft: Leute projizierten in den 1960ern allerlei Fantasien darauf. Aber im Wesentlichen war die „Große Proletarische Kulturrevolution“ einfach der Name, den die chinesische kommunistische Bürokratie den Wirren gab, in die „ihre“ Revolution geraten ist. Sie nannten die Wirren „Revolution“. Man hat gesellschaftliches Chaos und sagt „Nun, das ist die Kulturrevolution“, oder? Das ist, was passiert ist. Was die Wirren selbst betrifft – sie waren barbarisch. Wenn man sich anschaut, was da eigentlich passiert ist, harrte Mao im Wesentlichen auf die gleiche Art und Weise das gesellschaftliche Chaos aus, wie Stalin und die Bolschewiki das des ersten Fünfjahresplanes und der Zwangskollektivierung in der Sowjetunion.

AK: Man könnte auch auf die Form verweisen, die der Maoismus in Kambodscha angenommen hat.

Aber das ist eine zu einfache Analogie.

CC: Ich glaube nicht, dass sie das ist. Wenn die Gesellschaft zusammenbricht und Leute ausrasten, kann man das eine Revolution nennen, wenn man möchte. Die Rechte ist im Wesentlichen durch die Anpassung an die bestehenden Verhältnisse gekennzeichnet. Das definiert sie politisch. In diesem Sinne waren die chinesischen Stalinisten die Rechte.

Das ist also die optimistischste Podiumsdiskussion hier auf dem Left Forum?

CC: Ja, weil wir die Einzigen sind, die euch nicht anlügen werden.

RR: Darf ich etwas konkreter auf die Frage antworten? Natürlich gibt es Situationen, in denen die Linke durch das bloße Machtverhältnis besiegt wird. Es gibt militärische Niederlagen. Die richtigen theoretischen Einsichten zu haben, ist kein Garant für den Sieg. Es gibt sicherlich auch Aspekte der Niederlage der Linken, insbesondere Anfang des 20. Jahrhunderts, die ich als tragisch begreifen würde. Daher meine Unterscheidung zwischen Tragödie und Farce. Allerdings wird die Geschichte von der Stärke der Rechten und der Widerstandsfähigkeit des Kapitalismus typischerweise missbraucht. Zum Beispiel ist man in den späten 1980ern und frühen 1990ern oft der Erzählung begegnet, dass es heute keine Linke gebe, weil sie in den 1960ern durch COINTELPRO unterdrückt wurde. Nun, die deutsche Linke wurde durch Hitler ermordet, aber der Zusammenbruch der Linken in den Vereinigten Staaten in den 1960ern geschah eigentlich nicht aufgrund staatlicher Repression. Es gab staatliche Repression und Menschen wurden ermordet – ich will nicht die Existenz staatlicher Repression bestreiten – doch die zentralen Probleme waren ideologische. Das wird beispielsweise durch den Umstand deutlich, dass die Linke nicht wuchs, als die Wirtschaft in den frühen 1970ern zusammenbrach. Vielmehr schrumpfte sie in den 1970ern und schrumpfte weiter während den 1980ern und bis heute; bis zu dem Punkt, an dem nichts mehr übrig bleibt. Es gab vier Jahrzehnte, in denen der Konservatismus in diesem Land anwuchs. Nun kann man das nicht allein durch den Verweis auf die Gaunereien der CIA oder des FBI erklären. Man muss sagen, wenn man ehrlich ist, dass die Linke darin gescheitert ist, ihre Sache auf eine Art und Weise zu präsentieren, die hätte verstanden werden können oder Zuspruch gefunden hätte. Auf eine folgenreiche Art und Weise hat die Linke versagt, die historische Realität anzuerkennen.

In den 1990ern habe ich viele aufrichtige, alte Linke kennengelernt. Menschen, die in den 1930ern Radikale waren, Kommunisten – eigentlich zum Großteil Trotzkisten. Was mir an ihnen auffiel, war, wie viel normaler sie im Vergleich zu den Radikalen meiner Generation waren. Sie waren der Typ Mensch, mit dem man abhängen konnte. Sie waren gewöhnliche Leute mit gewöhnlichen Arbeiterberufen. Man hatte nicht den Eindruck, dass ihr Radikalismus eine Art Subkultur war. Er war keine Subkultur und kein psychologisches Symptom. Oft treffe ich heute auf Menschen, die zwar nette Leute sind, aber ich glaube, sie sind Radikale, weil sie kein Leben haben. [Gelächter] Ich will nur ehrlich sein und sage dabei nicht, dass das der einzige Grund für Radikalismus ist; in Wirklichkeit hoffe ich, dass das bei mir nicht der Fall ist. [Gelächter]


Ich habe den Eindruck, dass ihr eine sehr klare Definition davon habt, was eine Niederlage ist, aber dass ihr grundsätzlich unterspezifiziert, was ein Sieg wäre. Ich würde behaupten, das ist so, weil ihr Probleme als ideologische definiert, womit ihr euch innerhalb der Kluft zwischen Theorie und Praxis ansiedelt, und die materiellen und ökonomischen Probleme ausklammert. Es scheint so, als wäre dabei Politik kein materielles Problem, als würden Krieg und Geheimoperationen und dem allem keine materielle Organisation zugrunde liegen. Zu sagen, dass jenseits von Rechts und Links sich zu bewegen eine rechte Aussage ist, ist zutiefst ignorant. Ich könnte euch auf das Buch Breaking with the Enlightenment verweisen, in welchem der Autor Rajani Kanth argumentiert, dass die Linke und die Rechte vieles gemeinsam haben, während viele radikale Bewegungen vormoderne Ideologien ausdrücken, wie im Falle der Bewegung der Kakaobauern. Ihr Verhältnis zur Natur und ihre Vision von Ökologie ist nicht „links“ oder „grün“. Nur um auf ein konkretes Beispiel hinzuweisen: Bhutan, ein Königreich und eine Monarchie, hat einen Index namens „Bruttonationalglück“, mit welchem sie radikal versuchen, den Zweck eines Staates neu zu definieren.

SL: Die Sache mit der Geschichte der Linken ist, dass das Verständnis der Niederlage beleuchtet, was der Sieg bedeuten würde. Wir können die Niederlage nur im Lichte der Möglichkeit sehen. Es handelt sich nicht um eine Niederlage in einem solchen Sinne, dass es fixe Kriterien für sie gäbe. Vielmehr ist es eine Niederlage im Lichte der Potenziale, die durch den Kapitalismus produziert werden. Eines dieser Potenziale ist die Überwindung des Mangels, die radikale Überwindung des „Ökonomischen“. Dies ist das Herzstück des politischen und intellektuellen Projekts von Marx, dass der Kapitalismus die größte Einschränkung für die Produktivität, wie auch für die Nachhaltigkeit, ist. Selbstverständlich setzt der Kapitalismus dieses Potenzial für die Überwindung des Mangels frei. Schlussendlich fesselt er jedoch dieses Potenzial. Eine durch Arbeiter organisierte Produktion wäre eben eine erfüllendere und produktivere Form von Arbeit, in welcher die Fähigkeit des menschlichen Wissens genutzt wird, um die Plackerei radikal zu verringern und gleichzeitig die Produktivität zu steigern.

CC: Ich will auf das Problem eingehen, zu welchem Grad vormoderne Formen der Kultur im Kapitalismus fortbestehen. Sie bestehen nur im schlimmsten Sinne fort. Die Überwindung des Kapitals würde es ermöglichen, die Vergangenheit auf eine andere Art und Weise zu erschließen. Das, was von den nicht-kapitalistischen, vormodernen Lebensformen übrig bleibt, (auch wenn es sich nur um Nachbilder und Überreste handelt), würde in der Zukunft eine völlig andere Qualität erhalten. Sie würden aufhören so zu erscheinen, wie sie es jetzt tun: als eine Art „Außerhalb“ oder als ein Ort des Widerstands gegen den Kapitalismus. In der Überwindung des Kapitalismus wäre es den besten Eigenschaften der nicht-kapitalistischen Gesellschaftsformen, die im Laufe der Geschichte existierten, erlaubt, eine neue Bedeutung zu finden, die ihnen unter derzeitigen Bedingungen fehlt. Das sollte nicht unerwähnt bleiben. |P