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„In 120 Jahren sind wir kein Stück vorangekommen“ - Interview mit Werner Dreibus

Werner Dreibus war Mitbegründer der WASG, die sich 2007 mit der Linkspartei.PDS zur Partei DIE LINKE vereinigt hat. Von 2010–2012 war er Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE. Außerdem arbeitete er langjährig als Gewerkschaftssekretär.

Die Platypus Review Ausgabe #6 | August 2017


Daniel Schultz: Wie wurden Sie politisiert, Herr Dreibus? Welche Bedeutung hat Ihre Politisierung heute für Sie und wie hat sich die Bedeutung Ihrer Politisierung verändert?

Werner Dreibus: Ich bin sehr früh durch meine betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit politisiert worden. Nach der Volksschule habe ich direkt eine Berufsausbildung bei den Farbwerken Hoechst in Offenbach begonnen. Im zweiten Lehrjahr wurde ich in die Jugendvertretung gewählt und habe mich von da an sehr stark gewerkschaftlich engagiert. Ab Mitte der 1960er Jahre habe ich mich dann auch für Parteipolitik interessiert: Zuerst war ich bei den Jusos und bin daraufhin in die SPD eingetreten, die ich dann aber schnell wieder verlassen habe.
Die gewerkschaftliche und die politische Dimension gehören bis heute in meiner Vorstellung zusammen: Es muss etwas Unmittelbares, Sozialaktives passieren, das aber gleichzeitig den großen politischen Rahmen bewegt.

2004 waren Sie Gründungsmitglied der WASG. Mit welcher Intention wurde die WASG damals gegründet?

Wir haben die WASG in allererster Linie gegründet, weil wir spätestens mit der Agenda 2010 und der Schröder-Regierung gemerkt haben, dass man mit Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit allein diejenigen Dinge, die politisch in die völlig falsche Richtung laufen – wie Hartz IV und die Rentenpolitik –, nicht ausreichend und wirksam bekämpfen kann.
Als politische Gewerkschaftler haben wir das theoretisch zwar schon immer gewusst, praktisch erfuhren wir es aber erst mit den Folgen der Politik der Schröder-Regierung. Zu dieser Zeit lag die Gründung eines politischen Arms der Arbeiterbewegung im parlamentarischen Raum der Bundesrepublik geradezu als Thema auf der Straße.

2007 hat die WASG beschlossen, sich mit der PDS zur Partei DIE LINKE zu vereinigen. In ihrem Programm bezeichnet sich DIE LINKE als eine sozialistische Partei, die mittels linker Reformprojekte den „demokratischen Sozialismus“ erreichen will. Sie unterscheidet sich also von der WASG, die bewusst auf den Begriff des Sozialismus in ihrem Programm verzichtet hat. Welche Bedeutung und Geschichte hat der Begriff des demokratischen Sozialismus und wogegen grenzt er sich ab?

Er ist vor allem eine Abgrenzung zu den eher autoritären, hierarchischen Formen und Ausprägungen des Sozialismus, die sich nach 1917 entwickelt haben. Hierzu zählt insbesondere die Politik des „realen Sozialismus“. Wie sich sehr viel später – in den Nachkriegsjahren sowie in den 1970er und 1980er Jahren – gezeigt hat, war und ist es notwendig, eine politische Bewegung in Abgrenzung zu diesem Irrweg der politischen Arbeiterbewegung zu etablieren.
Er ist aber auch in Abgrenzung zu dem zu betrachten, was die SPD in Deutschland ab dem Godesberger Parteitag 1959 wurde: eine sogenannte „Volkspartei“. Diese hat eben nicht mehr als zentrales Ziel, aus dem Interesse der abhängig Beschäftigten heraus die kapitalistische Gesellschaft umzugestalten, sondern möchte zugleich eine politische Bewegung sein, die für alle – für das „Volk“ – Ansprechpartner ist.

Sie erwähnten mehrmals die Wichtigkeit einer Politik jenseits der betrieblichen Ebene oder des ökonomischen Kampfes. Welche Rolle spielt DIE LINKE für das Erreichen des demokratischen Sozialismus und in welcher historischen Tradition steht sie?

Es ist ein richtiger Anspruch – wir reden im Moment über Ansprüche und nicht so sehr über Realität –, eine Gesellschaft aus dem Interesse der arbeitenden Menschen heraus so zu gestalten, dass man von einem demokratischen und sozialen Weg hin in eine sozialistische Gesellschaft sprechen kann.
Auf der anderen Seite ist es dafür aber ebenso notwendig, immer im Blick zu haben, dass gesellschaftliche Entwicklungen, gesellschaftlicher Fortschritt und gesellschaftliche Macht eben nicht nur aus dem Einflussbereich einer politischen Partei und den Parlamenten entstehen. Es ist genauso wichtig, dass die Menschen in der Lage sind, ihr Interesse eigenständig in der Gesellschaft zu vertreten, indem sie sich zum Beispiel in der gewerkschaftlichen Arbeit im Betrieb oder in Konfliktbereichen wie der Flüchtlingsfrage selbst engagieren.
Für mich gibt es also zwei Ebenen: die Gesellschaft durch Parteipolitik zu gestalten und gleichzeitig bestimmte Bewegungen in der Gesellschaft zu beeinflussen bzw. für diese Voraussetzungen zu schaffen. Dies sollte, aus meiner Sicht, der Anspruch der Partei sein. Ich bin jedoch etwas skeptisch, inwieweit sie diesem Anspruch aktuell gerecht wird. Daran muss man arbeiten.

Wann wurde denn Ihrer Meinung nach der letzte historische Versuch unternommen, einen demokratischen Sozialismus aufzubauen oder einzuführen? Gibt es gegenwärtig Bewegungen, die das versuchen?

In der Vergangenheit gab es mehrere Versuche, eine solche Entwicklung einzuleiten. Zum Beispiel 1917 in der Sowjetunion – mit all dem Scheitern, das damit verbunden ist – oder auch 1936 in Spanien. Es gab sehr wohl kleinere, nicht die ganze Welt umfassende Bestrebungen hin zu etwas wie einem demokratischen Sozialismus in einem Land.
Heutzutage jedoch sind wir von einer Bewegung hin zu einem demokratischen Sozialismus in der entwickelten kapitalistischen Welt meilenweit entfernt. Wenn überhaupt, gibt es in gewissen nicht-hochentwickelten kapitalistischen Weltregionen den einen oder anderen Versuch, für dieses Ziel zu kämpfen und zu arbeiten, z.B. in Süd- oder Mittelamerika.

In diesem Jahr findet das hundertjährige Jubiläum der Russischen Revolution statt. Ist 1917 ein positiver Bezugspunkt für mögliche linke Politik?

Das ist ambivalent zu sehen. Zunächst einmal ist es, historisch betrachtet, einer der wenigen Versuche, ein radikales Gegenmodell zu den davor herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu entwickeln. Dies geschah in einer besonderen Situation: die vorhergehende Gesellschaft, das zaristische Russland, befand sich, durch die Beteiligung am Ersten Weltkrieg, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch in einer großen Krise. Zudem war es ein Land, das nicht sehr weit entwickelt war, sondern noch in den ersten Zügen einer kapitalistischen Entwicklung steckte.
Der Impuls der Revolution von 1917 war es, dieser Krise eine radikale Alternative entgegenzusetzen. Mit dem Tod Lenins war diese Periode jedoch beendet, und es gab auch schon von 1917 bis 1922/23 eine Reihe von Ereignissen, die äußerst fragwürdig waren.

Im Programm der Partei DIE LINKE heißt es, dass sich diese für starke und kämpferische Gewerkschaften einsetzt. Welche Bedeutung kommt dabei den Gewerkschaften zu, den demokratischen Sozialismus zu erreichen?

Sie haben eine sehr große Bedeutung: Ohne eine starke Interessenvertretung der Beschäftigten in jedem einzelnen Betrieb, ohne aktive, freie und unabhängige Gewerkschaften ist eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft nicht vorstellbar. Allerdings dürfen sich Gewerkschaften nicht darauf beschränken, lediglich die Lohninteressen der Beschäftigten zu vertreten. Ihre Aufgabe ist es ebenfalls, durch Information, Aufklärung, Bildung und Aktionen daran mitzuwirken, die Entwicklung hin zu einer sozialistischen Gesellschaft zu befördern. Beides gehört für mich dazu. Für DIE LINKE ist es aus meiner Sicht ein wichtiger Anspruch, eine solche gewerkschaftliche Aufgabenstellung zu unterstützen und Bedingungen dafür zu schaffen, dass Gewerkschaften sich besser entwickeln können.

Wie betrachten Sie das Verhältnis zwischen der Partei DIE LINKE und den Gewerkschaften genau? Besteht eine Arbeitsteilung zwischen dem ökonomischen Kampf, den die Gewerkschaften führen, und dem politischen Kampf, den DIE LINKE führt? Ergänzen sie sich gegenseitig?

Nach meinem Verständnis haben Gewerkschaften nicht unmittelbar die Möglichkeit, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung zu setzen – und sollten sie auch gar nicht haben. Idealerweise ergänzen sich Partei und Gewerkschaften also: Eine politische Partei, die eine Entwicklung hin zu einer sozialistischen Gesellschaft anstrebt, braucht für die Mobilisierung (im Sinne einer aktiven Beteiligung) wie auch für die Artikulation von Interessen der Beschäftigten starke Gewerkschaften. Dies hat sich DIE LINKE programmatisch vorgenommen. Allerdings kann das im Zweifelsfall nicht nur Unterstützung, sondern auch Kritik an ihnen bedeuten, da nicht alles, was Gewerkschaften machen, gut und richtig ist. Selbstverständlich müssen auch die Gewerkschaften aus ihrer eigenen Funktion heraus nicht alles für richtig halten, was eine Partei wie DIE LINKE macht.

Ist DIE LINKE eine Arbeiterpartei und wenn ja, was bedeutet das im 21. Jahrhundert?

Nein, sie ist ihrem Selbstverständnis gemäß keine Arbeiterpartei. Es gibt innerhalb der Gesellschaft durchaus berechtigte Interessen, die nicht unmittelbar aus dem Verhältnis von abhängiger Beschäftigung entstehen, welches für die klassische Arbeiteridentität und damit auch für gewerkschaftliche Arbeit grundlegend ist. Es gibt andere gesellschaftliche Interessen, die ebenso vertreten werden müssen, zum Beispiel das Interesse an der Aus- und Weiterbildung junger Menschen. Ebenso gibt es weit über die unmittelbar ökonomischen Fragen hinausgehende Fragestellungen gesellschaftlicher Art, wie Umwelt- und Friedensthemen.
Das sind unterschiedliche Aufgabenstellungen für Partei und Gewerkschaften. Insofern kann sich eine Partei wie DIE LINKE nicht allein positiv auf Gewerkschaften und Arbeit beziehen, sondern muss auch ein darüber hinausgehendes gesellschaftliches Mandat haben.

Inwiefern steht DIE LINKE in ihrem Verhältnis zu den Gewerkschaften in der Tradition der Sozialdemokratie, inwiefern bricht sie mit dieser Tradition?

Von ganz wenigen Einzelpersonen und kurzen historischen Phasen abgesehen, habe ich das Verhältnis von gewerkschaftlicher und politischer Arbeit in der Sozialdemokratie nie als ein gleichberechtigtes, sondern als ein hierarchisches erlebt. Das Entscheidende und Ausschlaggebende war am Ende die politische Betätigung der Partei und nicht der gewerkschaftliche Kampf.
Ich hoffe sehr, dass es im Verhältnis der LINKEN zu den Gewerkschaften nicht zu solchen hierarchischen Unterordnungen kommt. Solange die Partei in der Opposition ist, stellt sich diese Frage ohnehin nicht praktisch. Aber wenn ich daran denke, wie oft sich die Gewerkschaften – nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in vielen anderen westlichen, kapitalistischen Ländern – der Politik regierender, sozialdemokratischer Parteien untergeordnet haben, ist es tatsächlich noch offen, wie dieser Test für eine wirklich linke sozialistische Partei und ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften ausgehen wird.

DIE LINKE versteht sich explizit als anti-neoliberale Partei und ist gleichzeitig geprägt durch die Krise des Neoliberalismus. Auf der Ebene der Politik hat diese Krise SYRIZA an die Regierung gebracht sowie Bernie Sanders und Jeremy Corbyn in führende Positionen ihrer Partei. Spätestens seit dem Brexit-Votum und den Präsidentschaftswahlen in den USA scheint es allerdings, dass die politische Führung der Krise eher durch Politiker wie Donald Trump und Theresa May übernommen wurde. Was heißt es, dass der Status Quo von der Linken offensichtlich nicht adäquat adressiert und verändert werden konnte?

Die Situation muss man so beschreiben, wie Sie das gerade getan haben. Die Kräfte einer linken, sozialistischen Bewegung außerhalb sozialdemokratischer Parteien werden immer wichtiger. In der Entwicklung der kapitalistischen Welt sind diese Bewegungen so stark geworden, dass diese Krise des Neoliberalismus nach links, in Richtung eines demokratischen Sozialismus, hätte gelenkt werden können, wobei gegenwärtig rechte Kräfte vorherrschend sind: In Großbritannien sieht es derzeit so aus, dass auch eine sozialistische Labour-Partei nicht stark genug ist, um sich dem entgegenzustellen, und in Frankreich hat man gerade in den letzten Wochen zumindest teilweise einen Niedergang linker Kräfte erlebt. Andererseits muss man beachten, was für ein ausgesprochen positives Wahlergebnis Mélenchon in Frankreich erzielte. Die These, die in der Eingangsfrage angesprochen worden ist, ist zwar richtig; umso notwendiger ist es jedoch, diejenigen Kräfte zu stärken, die sich einer solchen Entwicklung zu einem politisch autoritären, noch radikaler die Interessen der großen Konzerne und der Finanzwelt durchsetzenden Kapitalismus, wie ihn Trump repräsentiert, entgegenstellen.

In den letzten Monaten wurde, sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Partei DIE LINKE, ernsthaft über eine Regierungsbeteiligung diskutiert. Inwiefern wäre eine Regierungsbeteiligung ein Mittel zum Zweck oder ein Hindernis zur Erreichung des Zieles, des demokratischen Sozialismus?

Auf dem Weg hin zu einem demokratischen Sozialismus hat die Frage einer Regierungsbeteiligung keine ausufernde Bedeutung: Das ist aus meiner Sicht eine völlig zweit- oder drittrangige Frage, die in der Partei DIE LINKE viel zu viel diskutiert wird.
Das muss nicht heißen, dass man dies nun in jeder politischen oder gesellschaftlichen Situation für gänzlich überflüssig oder nebensächlich hält. Aber die Prioritäten sind aus meiner Sicht völlig falsch gesetzt. Wir haben gerade in dieser Situation, der Krise des Neoliberalismus und des Erstarkens des Rechtspopulismus, in viel größerem Ausmaß die Aufgabe zu Information, Aufklärung und zur Aktivierung von Menschen, sodass sie ihre eigenen Interessen vertreten. Deshalb würde ich dieser parlamentarisch-politischen Frage vom Regieren keine übergeordnete Bedeutung beimessen.

Welche Unterschiede bestehen denn für eine linke Partei zwischen der Arbeit im Parlament und der Beteiligung an einer Regierung? Es ist ja nicht so, dass die Partei diese Frage aus reinem Selbstzweck diskutiert, sondern viele Wähler haben auch eine gewisse Erwartung an die Partei, dass sie sich an einer Regierung beteiligen würde.

Das ist eine berechtigte Frage! Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Regierungsbeteiligung. Es ist aber eine Frage von Prioritäten, der Arbeit, der Debattenkultur und der Kraft, die man dafür aufwendet. Ich halte es für durchaus möglich und vorstellbar, dass DIE LINKE auch im Zuge einer Regierungsbeteiligung Fortschritte im Sinne der Verbesserung von Gesetzen und Regelungen für die Beschäftigten erreichen kann.
Allerdings liegt DIE LINKE zurzeit bei lediglich 8–12%, und man muss sich genau überlegen, ob man aus einer solchen, relativ schwachen Position heraus in eine Regierung eintritt. Aus meiner Sicht ist die Gefahr sehr groß, dass viele Menschen, die DIE LINKE bei Wahlen oder sonstigen Auseinandersetzungen unterstützen, dann enttäuscht sein würden, wie wenig man als Minderheit in einer Regierung tatsächlich erreichen kann. Es wäre also besser, wenn eine solche Erfahrung dieser Partei erspart bleiben könnte.

Gibt es denn historische Erfahrungen einer Regierungsbeteiligung der Linken, die Sie als exemplarisch anführen können?

Das Beispiel Griechenland zeigt, wie viele Zugeständnisse eine Regierungspartei aus einer ausgesprochen starken Position heraus unter den Bedingungen des realen internationalen Neokapitalismus machen muss, um überhaupt Vereinbarungen mit dem internationalen Kapitalismus, der Finanzwelt und ihren Regierungen zustande zu bringen. Mir fällt aktuell kein positives Beispiel ein, bei dem aus einer solchen Regierungsbeteiligung heraus tatsächlich die Erwartungen, die Bedürfnisse, die Vorstellungen der Menschen, die die Partei in eine solche Position gebracht haben, erfüllt werden konnten.

Wir haben viel über den Weg zum demokratischen Sozialismus, das Verhältnis von Gewerkschaften und Partei sowie die Frage von Regierungsbeteiligungen gesprochen. Wie würde denn der Weg dorthin konkret aussehen? Es gab in der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg eine ähnliche Debatte, wie der Weg zum Sozialismus zu bestreiten sei. Ich erinnere da zum Beispiel an Rosa Luxemburg in ihrem Pamphlet zum Revisionismus-Streit zwischen ihr und Bernstein. Wie würden Sie dies heutzutage, im 21. Jahrhundert, einschätzen?

Mit Sicherheit um ein vielfaches schwieriger als Anfang des 20. Jahrhunderts zu Zeiten Rosa Luxemburgs! So richtig das ist, was eine Reihe von Theoretikern wie Rosa Luxemburg und andere dazu vor 120 Jahren geschrieben haben, muss man konstatieren, dass wir in diesen 120 Jahren eigentlich kein Stück vorangekommen sind. Im Gegenteil: Die Hoffnungen, die sich für manche aus der Entwicklung in der späteren Sowjetunion ergeben hatten, wurden enttäuscht und endeten in einem völligen Desaster. Die Bewegungen in Lateinamerika waren vom Ergebnis her betrachtet in den letzten 30 bis 40 Jahren nicht sehr erfolgreich – bisher jedenfalls. Auch wenn man aufpassen muss, dass man kein Geschichtspessimist wird, ist zu konstatieren, dass dieser entwickelte internationale Kapitalismus heute um ein vielfaches stärker und, bei aller Instabilität und Krisen, stabiler als früher ist. Dieser Neokapitalismus ist als politisches Gesamtsystem heute stärker denn je. Zu seiner eigenen Erhaltung produziert er die unmöglichsten Konstellationen – Trump, Brexit, die Rechtspopulisten wie Le Pen und die AfD –, die noch auf viele Ideen kommen werden, damit sich aus den zwangsläufigen Krisen möglichst nicht der Weg in den demokratischen Sozialismus eröffnet. Im Moment ist das wohl so.

Das Interview wurde von Sebastian Vogel transkribiert.